Engel der Finsternis (German Edition)
das nicht gemeint!“, beeilte Katharina sich, ihm zu versichern. „Ich … ich dachte nur, dass du mich vielleicht auf die Probe stellen wolltest.“
„Das habe ich bereits, und du hast versagt. Du hast dich von Gott abgewandt. Jetzt wirst du büßen für deine Sünden.“
Die Weiber, die immer näher herankamen, stießen ein unheimliches Triumphgeheul aus. Es waren etwa zwei Dutzend Frauen unterschiedlichen Alters, die zuvor unter der gespenstisch aussehenden Weide gesessen hatten, als Agreas und die Gräfin eingetroffen waren. Das Geräusch seiner Flügel hatte sie aufspringen lassen. Erst hatten sie ihn noch mit schrillen, krächzenden Schreien begrüßt. Dann aber war ihnen aufgefallen, dass er nicht allein zu ihnen kam. Der Anblick der Gräfin hatte sie augenblicklich verstummen lassen.
Katharina kannte einige der Frauen, die da vor ihr standen. Alle trugen sie lange, weiße Kleider. Eigentlich viel zu wenig, um ihre Körper bei diesen Temperaturen vor der Kälte zu schützen. Doch der Gräfin wurde sofort klar, dass sie ebenso tot waren wie sie selbst. Die Nonne aus dem Kloster Buchau, die den abgebalgten Leib einer Katze in der Hand hielt, war erst vor wenigen Wochen wie sie selbst im Kindbett gestorben. Katharina hatte von der Äbtissin des Klosters davon erfahren. Auch die Köhlerin hatte sie gekannt. Sie war Jahr für Jahr zur Weihnachtszeit nach Waldenfels gekommen, um den Kindern Gruselgeschichten über Geister und Gespenster zu erzählen. Dann war sie plötzlich verschwunden. Es hatte geheißen, der Alp habe sie geholt. Nun stand sie mit zerzaustem Haar zwischen den anderen Weibern und blickte die Gräfin aus leblosen Augen neugierig an.
„Hast du endlich bekommen, was dir zusteht?“, kreischte sie mit schriller Stimme und fauchte wie eine Wildkatze.
Die Gräfin wusste, wo sie war, konnte und wollte es aber nicht glauben. Agreas hatte sie zu den Weibern des Wilden Heeres gebracht. Seit Monaten schon gingen Gerüchte um, dass die nachtfahrenden Frauen in die Welt der Lebenden gekommen seien. An allen möglichen Orten hatte man sie schon gesehen. Aber so richtig hatte die Gräfin nie an die Existenz dieser Weiber glauben wollen, von denen man sagte, sie flögen auf Besen durch die Nacht. Es hieß, sie seien allesamt ruhelose, verdammte Seelen. Von Gott verfluchte Untote, denen der Zutritt zum Paradies verwehrt war. Wegen ihres sündhaften und gottlosen Lebens waren sie dazu verurteilt, auf Erden umzugehen als Plage und Heimsuchung. Wo immer sie auftauchten, brachten sie Krankheiten, Verzweiflung und Leid.
„Du wirst tun, was ich dir sage!“ Agreas` Stimme hallte durch den Wald. „Du hast zu Lebzeiten die Menschen gehasst und nur Unheil über sie gebracht, und das wirst du auch weiterhin tun! So will es der Herrscher über Himmel und Erde.“ Der Dämon breitete seine Schwingen aus und riss die Arme in die Höhe, als wollte er Gott um die Bestätigung seiner Worte bitten. Ein Rauschen ging durch die knorrigen Äste des Baumes.
Nie zuvor hatte die Gräfin einen solchen Baum gesehen. Fünf gewaltige Äste, jeder einzelne vom Umfang eines menschlichen Körpers, ragten gebogen vom Boden in die Höhe. Sie sahen aus wie die Finger einer klauenartig verkrümmten Hand. In ihrer Mitte ragte der mächtigste Baumstamm, den Katharina je gesehen hatte, fast senkrecht in den Himmel empor. Aus seinem Leib wuchsen Dutzende Äste wie Fangarme heraus. Manche neigten sich fast bis zu den Köpfen der Frauen herunter, die im Schutz des mächtigen Baumes ein gewaltiges Feuer entzündet hatten. Hinter den hoch auflodernden Flammen erkannte Katharina einen dunklen, von Schlingpflanzen überwucherten Eingang, der in das Innere des Baumriesen zu führen schien.
Die Gräfin duckte sich erschrocken unter den zum Leben erwachten Ästen. Es sah aus, als wollte der Baum nach ihr greifen. Doch der Einzige, der sie packte, war Agreas. Mühelos schleuderte er sie durch die Luft.
„Gebt ihr ein Kleid!“, befahl er, als Katharina den Weibern direkt vor die Füße fiel. „Los, steh auf und folge den anderen!“
Verängstigt erhob sich die Gräfin und fand sich umzingelt von den Frauen, die im Kreis um sie herum standen und auf sie herabsahen.
„Lasst sie in Ruhe! Ich brauche sie heute in der Kirche. Ihr alle werdet heute nach Einbruch der Dunkelheit in die Kirche auf Burg Waldenfels kommen. Sie werden dort sein. Und auch diese beiden Bauernmädchen.“
Die Weiber johlten und tanzten, als sie das hörten. Schon lange
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