Engel der Finsternis (German Edition)
große Kerzen mit den Initialen der verstorbenen Gräfin zu schmücken. Eine mühsame und schwierige Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl erforderte. Der Kaplan war nur schwer zufrieden zu stellen und tolerierte keine Fehler. Alles musste genauso aussehen, wie er es sich vorstellte.
Franzi wusste nichts von den Nöten und Sorgen des Meisters. Sie saß auf einem niedrigen Hocker in der Nähe des Feuers und hing ihren Gedanken nach. Anfangs hatte der bestialische Gestank ihr Übelkeit verursacht. Das geschmolzene Rinderfett in dem kleinen Kessel roch wie fauliges Fleisch. Kaum zu glauben, dass daraus die wunderschönen Kerzen hergestellt wurden, die in der Kapelle und im Wehrturm standen und deren Geruch sie so sehr liebte.
Nun würden sie neben dem Leichnam der toten Gräfin stehen und nicht wie in den Jahren zuvor im Altarraum der festlich geschmückten Kapelle. Franzi hatte über Tage hinweg mit anderen Mägden unter Anleitung von Hieronymus das kleine Gotteshaus geputzt und für das Christfest vorbereitet. Allen Zierrat hatte der Kaplan vom Altar wieder entfernen lassen. Auch die bunten Wandteppiche mussten wieder abgenommen und in den Wehrturm zurückgebracht werden. Nichts erinnerte mehr an die bevorstehenden Feiertage. Alles wirkte nun düster und unheilverkündend.
So wie der Himmel über Burg Waldenfels, der sich schon am frühen Nachmittag verfinstert hatte. Schwere, bleigraue Wolken zogen von Norden her über das Land und sogen das trübe Sonnenlicht in sich auf. Mit den Wolken kam der Wind und mit dem Wind der Schnee. Von einem Moment auf den anderen begann es zu schneien. Große Flocken wirbelten durch die Luft und nahmen Franzi vollends die Sicht, als sie zusammen mit Heidrun und Walburga über den Burghof lief. Die Umhänge fest um die Körper geschlungen, beeilten sie sich, dem Unwetter zu entkommen, das sich über ihnen zusammenbraute. Franzi sah voller Angst zu den Ställen hinüber, in denen man die Tiere brüllen hörte. Sie fühlten mehr noch als die Menschen, dass sich etwas Unheilvolles näherte.
Selbst die friedvollsten unter den Milchkühen machten Lärm und trieben die Hütejungen zur Verzweiflung, weil sie sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Stallwände warfen. Die Pferde keilten aus. Die Ochsen drohten jedem, der in ihre Nähe kam, mit ihren Hörnern. Sogar die Hühner weigerten sich, auf ihren Stangen zu bleiben. Es wirkte, als wollten die Tiere so schnell wie möglich diesen Ort verlassen, der doch der einzig sichere für sie hätte sein sollen. Aber aus irgendeinem Grund schienen sie alle hinaus zu wollen in den Sturm und die Kälte. So wie die beiden Jagdhunde des Grafen, die den Jägern entkamen und nun bellend und knurrend in der Vorburg umher rannten, bis Konrad befahl, sie ihrem Schicksal zu überlassen.
Einer der beiden Rüden war ein furchtloser Riese, der schon so manchen Bären gestellt hatte. Zähnefletschend stellte er sich breitbeinig vor Agreas und forderte ihn hinter dem Haus des Gutsverwalters zum Kampf heraus. Agreas brach ihm mit einer einzigen raschen Bewegung das Genick und ging um das Haus herum auf den fast menschenleeren Burghof. Nur noch hier und da hasteten einige Mägde oder Knechte zur Kapelle. Auf ein Zeichen von Agreas traten auch die anderen hinter den Häusern hervor. Balam führte die Weiber des Wilden Heeres zu ihm und gebot ihnen zu schweigen.
„Wo ist Meresin?“, erkundigte sich Balam.
Agreas deutete mit dem Kopf auf das kleine Gotteshaus, dessen Glocke nun zu läuten begann.
Der Innenraum der Kapelle lag im Halbdunkel. Die wenigen Fackeln, die man in den Eisenringen entlang der Wand angebracht hatte, vermochten kaum die Finsternis zu durchdringen. Hieronymus hatte die Holzläden vor den wenigen Fenstern schließen lassen.
Franzi war froh darum, auch wenn sie nicht glaubte, dass sich die Dämonen und Gespenster auf diese Art aussperren ließen. Wie alle anderen hatte sie längst erfahren, dass Kaplan Hieronymus in dieser Nacht mit dem Erscheinen des Wilden Heeres rechnete. Der Geistliche ging fest davon aus, dass sie versuchen würden, sich der Seele der Gräfin zu bemächtigen. Franzi sah sich ängstlich in der Kirche um. Im flackernden Licht der knisternden Fackeln tanzten unzählige Schatten über die verrußten Wände und flogen hinauf in die Finsternis des Dachstuhls. Sie fragte sich, ob das wirklich nur Schatten waren oder vielleicht doch schon die Gestalten der Weiber, die ihren Schabernack mit ihnen treiben wollten.
Sie wusste,
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