Engel der Finsternis (German Edition)
ihr ab und rief nach seinem Pagen.
„Bedecke dich! Und kein Wort zu irgendwem! Ich möchte nicht, dass irgendjemand erfährt, was sich eben zugetragen hat. Und nun bring deine Schwester zu mir!“
Sprachlos wandte Walburga sich ab und verließ den Saal. Sie mied die Blicke der anderen, als sie die Treppe des Wehrturms hinunter ging. Um Zeit zu gewinnen, mied sie die Küche und machte sich auf den Weg in die Vorburg. Sie könnte ja immer noch behaupten, irgendjemand hätte ihr gesagt, Franziska sei bei den Ställen oder in einem der Schuppen. Die Weiber mussten sie unbedingt vor ihr finden. Sonst war alles umsonst gewesen. Vielleicht hatten sie Franziska auch schon geholt.
Katharina hatte sich im Saal aufgehalten, als sie mit Konrad zusammen gewesen war. Und wenn die Gräfin in der Burg war, waren die anderen Weiber nicht weit. Der Vorfall in der Küche und der Sturz des Pagen waren zweifellos ihr Werk gewesen. Balam hatte ja gesagt, sie bräuchte sich keine Sorgen mehr zu machen. Aber hatte er auch gewusst, Konrad würde trotz der Kräuter in seinem Bier immer noch ihre Schwester wollen?
Eigentlich hatte Walburga gedacht, er würde nur noch sie wollen. Oder hatte sie den Engel etwa falsch verstanden? Vielleicht sogar einen Fehler begangen?
Auf dem Weg nach unten in die Vorburg dachte Walburga noch einmal ganz genau darüber nach, was sie gesagt hatte, als sie ihm die Kräuter ins Bier gemischt hatte. Sie hatte die Formel genauso gesprochen, wie der Engel sie ihr beigebracht hatte. Trotzdem stimmte irgendetwas nicht.
Statt sie noch einmal zu nehmen, hatte Konrad sie losgeschickt, um Franziska zu holen. Was für eine Demütigung. Es war wie am Tag zuvor, als er sie wie eine schäbige Dirne aus der Burg geworfen und ihre verhasste Stiefschwester zu sich geholt hatte.
Aber die Weiber hatten ihr Wort gehalten, in der Nacht und nun wieder. Sie würden ihr auch jetzt beistehen, wenn sie nichts Falsches tat. Also begab sie sich erst einmal zu den Pferdeställen. Dort würde sie Franziska ganz sicher nicht finden.
Was auch stimmte, denn Franzi war sofort in die Kapelle gelaufen, als die Tiere begonnen hatten, verrückt zu spielen. Sie wusste, was der Tumult zu bedeuten hatte und war sich auch im Klaren darüber, in welcher Gefahr sie sich befand. Meresin hatte ihr eingeschärft, dem Kaplan nicht von der Seite zu weichen. Doch Hieronymus war nicht da, als sie das Gotteshaus betrat.
Das Kirchenschiff war noch immer voller Rauch. Von den Dreifüßen neben dem Katafalk stiegen dunkle, schwere Rauchwolken auf. Entgegen dem Rat des Grafen hatte der Kaplan die Läden nicht geöffnet, obwohl er inzwischen wusste, dass die Seele der Gräfin nicht mehr zu retten war. Aber er war nicht bereit, seine Kapelle kampflos dem Wilden Heer zu überlassen.
Franzi vertraute auf die Erfahrung des Geistlichen im Umgang mit Geistern und Dämonen und begab sich nach vorne zum Altar. Dort wollte sie auf Hieronymus warten. Sicher war er im Burghof unterwegs. Die Knechte und Handwerker waren ebenso verängstigt wie alle anderen in der Burg. In diesem Moment jedoch brauchte niemand den Kaplan so sehr wie Franzi. Sie wusste, die Weiber wollten sie holen und keinen anderen. Wahrscheinlich suchten sie beim Grafen nach ihr.
Bei dem Gedanken zuckte Franzi zusammen. Walburga! Sie hatte ihre Schwester nicht davon abhalten können, im Wehrturm zu bleiben. Franziska ahnte nicht, was in eben diesem Moment, da sie in der Kapelle stand und voller Sorge an Walburga dachte, im Wehrturm vor sich ging. Hätte sie es gewusst, sie wäre ohne zu zögern losgelaufen, um ihre Schwester zu warnen. Schließlich wusste sie nichts von dem Pakt, den Walburga mit dem Heer geschlossen hatte. Sie dachte, die Gräfin würde jede Frau verschleppen und töten, die sich mit dem Grafen einließ. Vielleicht schwebte Walburga allein schon deswegen in Gefahr, weil sie ihre Schwester war, überlegte Franzi.
Ihr schwirrte der Kopf. Sie sank auf die Knie und faltete die Hände. „Heiliger Schutzengel mein“, begann sie zu beten. Franzi wünschte sich so sehr, Meresin zu sehen. Sie hoffte, er wäre unsichtbar in ihrer Nähe und wachte über sie, wie er es schon mehrere Male in den letzten Stunden und Tagen getan hatte. „Wenn du hier bist, zeige dich“, flüsterte sie und sah ängstlich auf den Leichnam. „Ich bitte dich, komm zu mir!“
Ein Luftzug bewegte die träge durch den Altarraum ziehenden Rauchschwaden und ließ die Decke flattern, die Hieronymus über die Gräfin
Weitere Kostenlose Bücher