Engel der Finsternis (German Edition)
„Mit dir sind wir noch lange nicht fertig!“ Dann wandte sie sich den anderen Frauen zu. „Gehen wir! Und haltet sie gut fest!“
„Lasst sie los, sofort!“ Meresins Stimme klang wie immer ruhig, jedoch ungewöhnlich scharf und zornig. „Ich sage es nicht noch einmal. Wer sie berührt, ist des Todes!“
Langsam trat er aus dem Dunkel des Kirchenschiffs. Seine Augen leuchteten in grellem Rot. Er breitete seine Flügel aus, hob seine Arme in die Höhe und öffnete den Mund.
Franzi wagte kaum zu atmen. Sie hatte den Engel noch nie so erlebt. Die Weiber wohl auch nicht. Denn sie waren nicht auf das gefasst, was nun geschah.
Aus der Tiefe seiner Brust ertönte ein Geräusch, das sich anhörte wie fernes Donnergrollen. Die Luft begann zu vibrieren. Franzi glaubte sogar, der Boden unter ihren Füßen würde beben. Mit irrem Kreischen ließen die Weiber von ihr ab und stoben in alle Richtungen davon.Sie bedeckte die Ohren mit den Händen und senkte den Kopf.
Und dann war es wieder still in der Kapelle. Nur das laute Klopfen an der Tür war zu hören. Einige Männer versuchten, die Tür von außen aufzubrechen, die Katharina von innen verriegelt haben musste.
„Ich komme wieder“, versprach Meresin und löste sich vor ihren Augen im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auf. Franzi sah nur ein leichtes, kaum wahrnehmbares Wogen in den dunklen Schwaden um sich herum. Nachdem Meresin verschwunden war, öffnete sie hastig die Tür.
15. Kapitel
Franzi stand alleine in der klirrenden Kälte. Keiner wagte es, an sie heranzutreten und ihr Trost zu spenden. Hilfesuchend sah sie sich um, aber die Männer, Frauen und Kinder starrten sie nur an wie eine Aussätzige. Es war wie in einem Alptraum. Nur, dass Franzi nicht schlief und sich das alles auch nicht einfach nur einbildete, so sehr sie es sich auch wünschte. Es gab kein erleichtertes Erwachen.
Seit dem Tod der Gräfin war nichts mehr so, wie es gewesen war. Ihr Leben war zwar schon zuvor alles andere als schön und angenehm gewesen, doch nun fühlte sie sich wie im Vorhof der Hölle. Jener Hölle, in welche die Weiber sie verschleppen wollten. Und Franzi konnte nichts dagegen tun. Sie konnte nur fest darauf vertrauen, dass Meresin sein Wort halten würde. Er war ihre einzige Hoffnung. Meresin …
Die wütende Stimme des Burgkommandanten riss sie aus ihren Gedanken. „Was steht ihr hier herum und gafft sie an? Helft ihr gefälligst! Du …“, Rainald zeigte mit dem Finger auf Walburga, die sich hinter zwei breitschultrigen Pferdeknechten zu verbergen versuchte, „… bist doch ihre Schwester.“
„Stiefschwester“, korrigierte Walburga missmutig.
„Komm her und kümmere dich um sie! Bring sie in den Wehrturm und bleibe bei ihr. Na wird`s bald?“
Er legte Franzi einen Arm um die Schultern und legte ihr eine seiner mächtigen Hände unter das Kinn. „Sieh mich an, Mädchen! Geh mit deiner Schwester. Hörst du?“
Franzi nickte. Sie verzog keine Miene, aber sie war dem raubeinigen Soldaten unendlich dankbar für das bisschen Zuwendung, das er ihr in diesem Augenblick schenkte. Rainald ließ sie los und brüllte dem Bader, der gerade mit seinem Gehilfen angerannt kam, entgegen: „Beweg dich, du nichtsnutziger Knochenbrecher! Oder soll ich dir Beine machen?“
Niemand war zum Lachen zumute, als der glatzköpfige Arzt Entschuldigungen stammelnd am Burgkommandanten vorbei huschte und in dem kleinen Gotteshaus verschwand. Am wenigsten Walburga, der man die Abscheu deutlich ansehen konnte, die sie gegenüber ihrer Schwester empfand. Während alle anderen Franzi nur mit einer Mischung aus Furcht und Neugier betrachteten, stand ihrer Schwester purer Hass ins Gesicht geschrieben. Am liebsten hätte sie sie angespuckt, wenn nicht so viele Leute um sie herum gestanden hätten.
Längst hatte sich herumgesprochen, dass Franzi der Grund für die Anwesenheit des Wilden Heeres war. Es gingen auch schon die ersten Gerüchte um, warum die Weiber ausgerechnet wegen ihr gekommen waren. Die meisten glaubten an eine heimliche Liebschaft mit dem Grafen und unterstellten ihr Heuchelei, weil sie die ganze Zeit immer so tat, als wolle sie von ihm nichts wissen. Was ihre Schwester Walburga getan hatte, war bekannt. Warum also sollte sie anders sein? Und nun hatte Franziska den Zorn Gottes auf sie alle herab beschworen und großes Unheil über sie gebracht.
„Warum hast du das getan?“, wollte Franzi wissen, als sie neben ihrer Schwester über den Holzsteg ging, der von der
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