Engel der Finsternis (German Edition)
hinterher. Das durfte nicht wahr sein! Sie hatte doch alles getan, was Balam ihr aufgetragen hatte. Aber nichts verlief so, wie es sollte. Wie konnte das sein? Sie musste unbedingt mit Balam reden. Dieser Meresin würde alles zunichte machen, wenn Balam sich nicht um ihn kümmerte. Er sei immer in ihrer Nähe, hatte er gemeint. Sie müsse nur seinen Namen rufen, dann würde er erscheinen.
„Balam!“, rief sie so leise, dass es niemand außer ihr hören konnte. „Wo bist du?“
„Direkt hinter dir.“
Erschrocken fuhr Walburga herum und presste eine Hand vor den Mund, um ihren Aufschrei zu unterdrücken.
Balam lächelte. „Ich habe dir doch gesagt, ich bin immer in deiner Nähe.“
Walburga kam ein furchterregender Gedanke. Ängstlich sah sie sich um. „Ist Meresin etwa auch hier?“
„Mach dir wegen ihm keine Sorgen. Sieh her!“ Vor Walburgas Augen löste sich sein Körper nach und nach in Luft auf. Alles geschah absolut lautlos. Balam verschwand einfach, aber noch ehe sich seine Umrisse vollends auflösten, nahm er wieder Gestalt an.
Walburga wich ängstlich zurück. „Was …? Balam?“
Vor ihr stand ein anderer Engel. Er war größer, breitschultriger und majestätischer als Balam.
„Das ist Meresin. Aber nicht er selbst, nur seine Gestalt“, erklärte Balam. „Meresin ist weit weg.“
„Aber Franziska sagte doch …“
„Ich war vorhin bei ihr. Sie hat den Unterschied nicht gemerkt. Heute Nacht werde ich sie holen. Und Franziska wird sogar freiwillig mit mir kommen.“
„Wird sie danach hierher zurückkehren?“
Balam schüttelte den Kopf. „Ganz sicher nicht.“
16. Kapitel
„Und du bist dir wirklich sicher?“
Die junge Frau nickte. „Absolut! Er muss hier irgendwo sein.“
Berchta blickte ernst drein und drehte langsam den Zweig in ihren Händen. „Haben sie gesagt, was er vorhat?“
Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Niemand weiß etwas. Sie sind aber ganz sicher, dass er es war. Allein.“
„Eigenartig. Wenn er weiß, wo wir sind, warum greifen sie uns dann nicht an?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Sie haben mir nur erzählt, dass Meresin sie nicht behelligt hat. Er saß einfach nur da. Aber sie sind sicher, er muss sie gesehen haben.“
„Sehr seltsam. Das gefällt mir gar nicht. Die Dämonen planen etwas.“
„Ja, das glaube ich auch. Was sollen wir jetzt tun? Sollen wir ihn suchen?“
Berchta schüttelte den Kopf. „Das wäre sinnlos. Selbst wenn wir alle gleichzeitig angreifen, wären wir ihm nicht gewachsen. Ich kenne ihn. Beobachtet ihn! Ich will wissen, was er macht und wohin er geht. Aber seid vorsichtig. Vergesst nie, mit wem ihr es zu tun habt.“
Die junge Frau nickte und ließ Berchta allein.
Meresin blieb hinter der mächtigen Eiche stehen. Das dichte Unterholz bot ihm Schutz vor den Blicken der Frauen. Seit Stunden schon hielt er sich in ihrer Nähe auf. Er kannte Berchta. Sie war schon damals eine alte Frau gewesen. Eintausend Jahre war das nun her.
Sie war die weise Frau im Dorf der Alemannen gewesen, eine Priesterin und die Mittlerin zwischen den Menschen und den Göttern. Eine von allen geachtete Autorität, gegen deren Willen kein Mann und keine Frau eine wichtige Entscheidung zu fällen gewagt hatte. Nun war sie die Anführerin der Holden Frauen. So nannten die Bauern viele Jahrhunderte lang die Ahnfrauen, die vom Schattenreich aus über das Wohlergehen ihrer Nachkommen wachten und sie vor Unheil und Not bewahrten.
Als die Mönche kamen und die Alemannen zum Christentum bekehrten, wurde alles anders. Plötzlich hieß es, sie seien blutrünstige Untote, die den Menschen nur Unglück brachten und sie in die Irre führten. Doch die Bauern hielten an ihrem Glauben fest und verehrten heimlich die Holden Frauen. Bis das Wilde Heer zu wüten begann.
Die Mönche und Priester redeten den Bauern ein, diese Weiber seien die von ihnen verehrten Frauen. Wer weiter zu ihnen beten würde, mache sich der Ketzerei schuldig. Die Bauern waren entsetzt. Hatten sie wirklich die ganze Zeit unheilvolle Geister und Dämonen angebetet?
Berchta und ihre Frauen gingen in die Dörfer und sprachen mit den Menschen. Sie kamen auch nach Schussenweiler, dem Dorf, in dem die Nachkommen von Berchta lebten. Der Schulze bekam es mit der Angst zu tun und verriet die Frauen an Hieronymus. Der Kaplan stellte den Frauen eine Falle und tötete schon in der ersten Nacht zwei von ihnen. Eine davon war eine Frau, die zu Lebzeiten nie einem Menschen etwas zuleide getan
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