Engel der Finsternis (German Edition)
gekommen, dass sie nicht gerettet werden konnte. Zumindest nicht lebend. Aber er könnte ihre Seele retten. Und dazu musste er sie töten. Sie könnte bei den Holden Frauen bleiben und würde ewig leben. Sobald Franzi bei Berchta war, würde Meresin Agreas vernichten. Was danach kommen würde, wusste er. Es war unvermeidbar. Aber wenigstens wäre Franzis Seele gerettet.
Wieder dachte er an Hulda. Er hatte sie belogen und in den Tod geschickt. Franzi hatte er ebenfalls belogen. Sie vertraute ihm nur, weil er ihr die Wahrheit verschwieg. Sie liebte ihn, weil sie ihn für ihren Schutzengel hielt. Wüsste sie, was er tatsächlich war, sie würde ihn fürchten und verabscheuen.
Schon einige Male dachte er daran, sich ihr in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Aber allein der Gedanke daran, dass sie sich vor ihm ängstigen und sich von ihm abwenden könnte, genügte jedes Mal, um es nicht zu tun. Solange sie lebte, durfte sie die Wahrheit nicht erfahren. Sie würde daran zerbrechen.
Wenn er getan hatte, was getan werden musste, sollte Berchta ihr die Wahrheit sagen. Dann würde sie sein Handeln verstehen. Meresin konnte diese Welt nicht verlassen ohne die Gewissheit, dass sie ihn verstehen und ihm verzeihen würde. Er konnte nicht schon wieder gehen und die Frau, die er liebte, einfach so zurücklassen.
Als die Nacht hereinbrach, verließ Meresin sein Versteck in der Tiefe des Waldes und machte sich auf den Weg zur Burg. Als er sich weit genug von Berchta und den Holden Frauen entfernt hatte und sicher sein konnte, dass ihn niemand beobachtete oder hörte, breitete er seine Schwingen aus und erhob sich über die Wipfel der Bäume.
Majestätisch glitt er am wolkenlosen, sternenübersäten Nachthimmel dahin. Über ihm leuchtete der Vollmond und tauchte die Winterlandschaft in ein sanftes, hellblaues Licht. Alles wirkte friedlich und ruhig. Meresin hatte keine Eile. Seine Schwingen hoben und senkten sich in langsamen, gleichmäßigen Bewegungen. Er dachte an Franzi und daran, was er tun musste. Für einen Augenblick schloss Meresin die Augen und konzentrierte sich. Zwar war er noch weit von Waldenfels entfernt, rief sie ihn jedoch, würde er sie hören können.
„Meresin“, flüsterte Franzi. „Kannst du mich hören? Komm bitte zu mir!“
Sie befand sich im obersten Stockwerk des Wehrturmes, dort, wo einst die Gräfin geschlafen hatte, und wärmte sich am Kaminfeuer. Es war nicht ihre Bestimmung, an einem Ort wie diesem zu sein. Ganz und gar falsch fühlte es sich an, dass sie vor diesem Feuer saß, umgeben von all der Pracht des gräflichen Haushaltes, und sich benahm wie eine Frau von Stand und Ehre. Sie war eine Bauernmagd, eine Leibeigene. Ihr Platz war unten in der Küche bei den anderen Mägden, wenn es sein musste, auch wieder unter dem Tisch bei den Hunden. Jeder Ort wäre besser als dieser. Natürlich dachte ihre Schwester anders darüber.
Walburga ging ihr seit ihrem Gespräch im Vorratsraum aus dem Weg. Und Franzi fragte sich die ganze Zeit, ob sie die Wahrheit gesagt oder sie absichtlich angelogen hatte, um sie zu schockieren. Warum hasste Walburga sie nur so sehr?
Sie tat doch wirklich alles, was sie konnte, um ihrer Schwester eine Hilfe zu sein. Und es war nicht ihre Schuld, dass der Graf ihr ständig nachstellte. Franziska würde jederzeit mit Freuden den Platz mit Walburga tauschen. Sie hoffte sogar, Konrad käme zur Besinnung und würde Walburga statt ihrer zu sich holen.
Inzwischen hatte Franziska auch erfahren, dass ihre Schwester beim Grafen gewesen war, als die Gräfin in der Kapelle erschien. Vielleicht würde er sie wieder zu sich rufen. Franzi hatte jedenfalls nicht den Eindruck gehabt, der Graf würde sich ihr nähern wollen. Nach dem Vorfall mit Katharina schien er sich regelrecht vor Franzi zu fürchten. Warum aber hatte er sie dann in den Turm geholt? Franzi wusste keine Antwort. Auf keine der vielen Fragen, die sich ihr stellten. Und niemand wollte mit ihr reden.
Die Frauen in der Küche hatten ihr keine Auskunft geben wollen, als sie nach dem Kaplan fragte. Und die Kammerfrau hüllte sich anfangs ebenfalls in Schweigen. Erst als Franzi sich auf die Suche nach Hieronymus machen wollte, berichtete sie ihr, dass es dem Kaplan sehr schlecht ginge. Dabei hatte sie Franzi in einer Art und Weise angeblickt, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie ihr die Schuld daran gab. Genau wie alle anderen. Jeder vertrat die Meinung, mit ihr stimmte etwas nicht. Und leider trug die Entscheidung des
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