Engel der Finsternis (German Edition)
Grafen, sie in den Gemächern seiner verstorbenen Frau unterzubringen, noch dazu bei, diesen Eindruck zu verstärken.
Franzi wandte sich um und betrachtete das riesige Himmelbett. Unwillkürlich bekam sie eine Gänsehaut. Sie konnte unmöglich in dem Bett schlafen, in dem vor wenigen Stunden die Gräfin auf so entsetzliche Weise ums Leben gekommen war. Zudem hatte sie viel zu große Furcht davor, dort von Katharina im Schlaf überrascht zu werden.
„Meresin“, flüsterte sie erneut. „Hilf mir!“
Der Engel hatte gesagt, er würde wiederkommen. Nie zuvor hatte er sie belogen. Vielleicht war er bereits hier und wollte oder konnte sich aus irgendeinem Grund nicht zu erkennen geben? Franzi lief zur Tür und warf einen Blick hinab in das finstere Treppenhaus. Es war niemand zu sehen. Sie ging zurück in das Gemach der Gräfin, durchquerte mit leisen Schritten den Raum und horchte an der Tür, welche zu den Räumen des Grafen führte. Vorsichtig öffnete sie die Tür ein Stück und beugte sich vor - nichts. Das Feuer im Kamin brannte, auf dem Tisch stand ein Krug mit Bier und die Decken auf dem Bett waren zurückgeschlagen. Aber es war weder der Graf noch sonst jemand im Raum.
Nur Balam stand hinter ihr und betrachtete sie mit gierigen Blicken. Noch war er unsichtbar. Er war schon seit geraumer Zeit in ihrer Nähe und ließ sie nicht aus den Augen. Kurz vor seinem Aufbruch nach Waldenfels hatte Agreas ihm noch einmal eingeschärft, was er zu tun hatte. Alles musste so geschehen, wie sie es geplant hatten.
Agreas wollte sich um Meresin kümmern, während Balam sich mit Franzi amüsieren sollte - in Gestalt Meresins. Dieses Versteckspiel widerte Balam zwar an, aber er wusste, es war die einzige Möglichkeit, Meresin in die Knie zu zwingen.
Einer der Engel berichtete ihnen vor Stunden, Meresin sei in die Wälder geflogen. Und seither war er nicht zurückgekehrt.
„Er bringt es nicht über sich. Also tun wir es. Aber ich will, dass er davon erfährt, sobald es vorbei ist. Sind die Weiber bereit?“, hatte Agreas von Balam wissen wollen.
„Sie können es kaum noch erwarten. Seit sie erfahren haben, dass nicht Meresin, sondern ich bei ihnen in der Kapelle war, wollen sie unbedingt losschlagen. Sie hatten nur Angst vor ihm gehabt.“
Balam verzog angewidert das Gesicht, als er daran dachte, wie sehr sich alle vor Meresin fürchteten. Nicht nur die Weiber des Wilden Heeres, auch die meisten der anderen Dämonen beugten sich seinem Willen. Aber damit würde es nun ein für alle Mal vorbei sein. Meresin hatte den Kampf verloren. Entweder er zog sich freiwillig zurück oder es würde zu einer letzten, alles entscheidenden Auseinandersetzung kommen. Balam hoffte, Meresin würde nicht einfach so verschwinden. Er wollte ihn nicht Luzifer oder den Erzengeln ausliefern. Denn er hatte noch eine Rechnung mit ihm offen. Balam hatte keineswegs vergessen, was Meresin ihm wegen der Nonne angetan hatte. Für diese Demütigung würde Meresin teuer bezahlen. Aber zuerst würde Franzi seinen Zorn zu spüren bekommen.
Balam nahm die Gestalt von Meresin an und wurde langsam sichtbar. „Du hast mich gerufen?“, fragte er mit der für Meresin typischen, sanften Stimme.
„Gott sei Dank!“, stieß Franzi erleichtert hervor und schmiegte sich in seine Arme. Sie war so glücklich, Meresin zu sehen, dass sie jede Zurückhaltung fahren ließ. Franzi wollte nur einen Moment in seinen Armen liegen und seine Nähe spüren. Wenn er bei ihr war, fühlte sie sich sicher und geborgen. Die Wärme seines Körpers tat ihr gut. Alle Last und alle Furcht fielen von ihr ab, als er seine Arme um sie legte.
„Meresin“, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht in den Falten seines Hemdes. „Es ist so furchtbar! Ich hatte solche Angst. Was soll ich nur tun? Walburga hat gesagt …“
Balam legte Franzi die Hände auf die Schultern und schob sie ein wenig von sich, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte. „Es tut mir leid, Franzi. Aber Walburga hat die Wahrheit gesagt. Sie hat dich an das Wilde Heer verraten. Die Weiber haben von ihr den Auftrag erhalten, dich zu töten. Ich kann dich nicht mehr vor ihnen beschützen, es sei denn …“, brach Balam ab und gab vor, nicht aussprechen zu wollen, was er zu sagen hatte. Er setzte eine bekümmerte Miene auf und wandte den Blick ab.
Überrascht blickte Franzi zu ihm empor. So hatte sie Meresin noch nie gesehen. Er wirkte richtiggehend verzweifelt. „Was ist? Was wolltest du sagen? Bitte sprich!“
Balam
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