Engel der Kindheit
die brütendheiße Luft in den engen Fluren und Kajüten sammelte und darin undurchdringlich stand, wie hinein zementiert.
Nach wie vor stichelte Mikele, aber Nils und Sven hatten sich zusammengeschlossen. Ohne sie wirklich zu treffen prallten seine gehässigen Bemerkungen an ihnen ab.
Gegen Mittag frischte der Wind zusehends auf, die Santa Barbara tauchte tief in die mächtigen Wellen ein, wurde wie von Geisterhand geschaukelt und angetrieben. Innerhalb von Minuten verschwand der bisher azurblaue Himmel hinter einer undurchdringlichen Mauer aus gefährlich wirkendem Graugrün, woraus es bedrohlich donnernd grollte. Über ein Megaphon gab der Kapitän kurze, messerscharfe Anweisungen, die die gesamte Crew mit geübten Handgriffen ausführte. Meterhoch spritzen Meerwasserfontänen über die Reling, wurde bei dem nächsten, noch tieferen Eintauchen wieder fortgespült, nur um wieder schwallartig über die Brüstung zu schlagen. Kraftvoll hangelten die Matrosen sich an den Tauen entlang, banden die eingeholten Segel an den Bäumen fest, verzweifelt nach Halt suchend, der ihnen unter den Füßen weggerissen wurde. Hochhaushohe Wellen, die Nils nie für möglich gehalten hätte, brandeten über ihren Köpfen zusammen. Zum ersten Mal bekam Nils Angst vor dem Meer, das sein wahres, tödliches Gesicht zeigte.
Wie schwerelose Puppen an unsichtbaren Fäden baumelten sie im Wind, wenn das Schiff eintauchte. Ihre Rufe wurden durch das tosende Meer und den peitschenden Wind mitgerissen, unmöglich konnten sie sich untereinander verständigen. Es galt einzig und allein sich zu retten. Das Meer hatte die Herrschaft über das Schiff übernommen, es wurde auf den Wellen getragen, hinab gezogen zu den Tiefen des Meeres, nur um wieder daraus hervorzutauchen, ausgespien zu werden, wie aus dem Schlund eines riesigen Walfisches. Für diejenigen, die noch immer in der Takelage hingen, war es nahezu unmöglich, mit eigener Kraft zurückzukommen.
Nils gehörte zu ihnen, er baumelte am Mastbaum, beide Arme um das knarrende Holz geschlungen und betete, dass er die Kraft haben würde, durchzuhalten, bis von irgendwoher Rettung kam. Regen peitschte, hart wie Nadelstiche, über das Deck, er sah keinen Meter weit, wusste nicht, ob außer ihm sich noch mehrere seiner Kameraden in der gleichen Situation befanden. Undurchdringliche, höllenschwarze Wolkenmassen, aus denen grellgezackte Blitze zuckten und Donnergrollen sogar den Sturm übertönte, umhüllten die Santa Barbara. Es musste Mittag sein, aber um sie herum war stockdunkle Nacht. Der gewaltige Sturm toste über das Deck, riss ungebändigt an seiner Uniform, zerrte an ihm, wie an einer leblosen Marionette.
Senkrecht tauchte das Schiff ein, wurde hinuntergerissen in wirbelnde Strudel, tänzelte wieder auf der Gischt, nur um erneut tosend einzutauchen in das kannibalische Meer.
Verzweifelt dachte Nils in diesem Moment an Lena, die er nie wiedersehen würde, da ihn die Kraft verließ. Nicht mehr lange und er würde über Bord gehen! Was das bei diesem bestialischen Orkan bedeutete, war ihm vollkommen klar.
„Binde das Seil um dich!“ Gegen alle Widrigkeiten ankämpfend, schrie Tom ihm die Worte so durchdringend er konnte entgegen.
Sicher angegurtet, hangelte er sich kraftvoll zu Nils heran, gemeinsam versuchten sie, das Seil um Nils Hüften zu binden. Nach mehreren missglückten Versuchen gelang es ihnen endlich. Mit vereinten Kräften legten sie, sich an dem Seil ziehend, den Weg zurück, der ihnen von der Kraftanstrengung und der Entfernung wie die Strecke eines Marathons vorkam.
Sicher zog Tom Nils unter Deck, er warf ihn über die Stufen auf die Schiffsplanken, um nach weiteren Kameraden zu suchen.
Hingeworfen, wie eine plattgewalzte Kröte, war Nils nicht mehr in der Lage sich zu rühren. Wimmernd lag er auf den trockenen Planken und rang verzweifelt nach Atem, unter nichtauszuhaltenden Krämpfen wand er sich schlängelnd auf dem Boden, bis Mikele ihm eine schallende Ohrfeige verpasste, bei der Nils Kopf herumgerissen wurde. Wahrscheinlich hatte Mikele auf diese Weise Nils Leben gerettet, denn seine Atmung normalisierte sich schlagartig, befreit konnten seine Lungen wieder Sauerstoff aufnehmen, was vorher nicht mehr möglich gewesen war.
Erneut öffnete Tom die Kajütentür und warf Sven hinter Nils über die kurze Treppe auf den Boden.
Halbtot lag Sven neben Nils. Im letzten Moment hatte Tom ihn gepackt, bevor er über Bord gespült worden war.
„Kumpel, aufwachen!“ Nicht
Weitere Kostenlose Bücher