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Engel der Kindheit

Engel der Kindheit

Titel: Engel der Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skyla Hegelund
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quälen?
    Die Santa Barbara fuhr durch die Straße von Dover über den Kanal, bis sie nach zwei Wochen den Atlantischen Ozean erreichten. Hier erfuhr Nils, was im Wind liegen wirklich bedeutete. Bisher geschützt durch die Einengungen der dicht beieinander liegenden Länder, befanden sie sich nun auf dem offenen Meer. Hart brauste der Wind in die offenen Segel, trug das Schiff mit sich, über Gischt spritzende Schaumkronen. Unnatürlich warm wehten die Ausläufer des Golfstroms über Deck. Trotz der unerträglichen Hitze mussten sie ihre Uniformen korrekt tragen.
    „Hei, du Muttersöhnchen, aufentern in die Takelage! Unter- und Obermarssegel setzen!“ Ausgerechnet Mikele, ein wahrer Koloss, dessen Oberarme so breit waren, wie Nils Schenkel, gab die Anweisungen des Offiziers an Nils weiter, während dieser gerade an der Backbordseite die Taue verknotete. Seinen glattrasierten Schädel trug er immer hocherhoben, keine Freundlichkeit sprach aus seinem vernarbten, pickeligen Gesicht. Italienischer Abstammung war Mikele, hatte aber von dem Charme der meisten Italiener nichts abbekommen.
    „Meinst du mich?“ Herausfordernd sah Nils Mikele in die Augen, er würde sich nicht weiterhin wie ein Kind von ihm behandeln lassen. „Ich heiße Nils!“
    „Nils!“ Mürrisch, abfällig wie Müll, sprach er diesen Namen aus.
    „Kein Problem!“ Behände, wie ein Affe, kletterte Nils über den haushohen Masten an die schwindelerregende Spitze der Großsegelmasten, ohne auch nur die kleinste Unsicherheit in seinen Bewegungen. Hoch oben löste er mit leicht zitternden Händen die Taue, hangelte sich über die wackeligen Rundhölzer entlang, wie er es unzählige Male beobachtet hatte. Das Schaukeln des Schiffes wurde durch die Höhe verstärkt, aber Nils landete nach verrichteter Arbeit siegessicher wieder auf den rauen Schiffsplanken.
    „Gut gemacht!“ Lobte Tom, der die Szene beobachtet hatte und zufrieden war mit den Leistungen des Neuen. Überaus geschickt stellte er sich an und führte alle übertragenen Aufgaben augenblicklich und perfekt aus.
    Zwei Wochen noch würde er Küchendienst haben, dann würde er ihm Arbeiten übertragen, bei denen er seine Geschicklichkeit und seine Intelligenz unter Beweis stellen konnte, auch wenn es den anderen Matrosen nicht gefallen würde. Er war ein schlaues Bürschchen, zufällig hatte er einmal mitbekommen, wie Nils erzählte, dass er das Abitur bestanden hatte und einen Studienplatz für Schiffsbau flöten gehen lassen hatte, nur damit er mit ihnen nach Australien kam. Es blieb abzuwarten, wie er sich entwickeln würde.
    In jedem Hafen, in dem sie anlegten, schrieb Nils eine Postkarte an Lena. Es war schwer für ihn, seine Gefühle in Worte zu verpacken, aber er schrieb ihr immer wieder, dass er sie vermisst und unendlich liebte. Er sehnte sich nach ihrer Stimme, aber ein Handy konnte er sich nicht leisten.
    Rudel von Delfinen sprangen neben dem Schiff her, Nils sah begeistert den wasserglänzenden, steingrauen Körpern zu, die sich scheinbar schwerelos aus der Wasseroberfläche in die Luft schnellen lassen konnten, um graziös mit ihren spitzen Schnauzen einzutauchen, nachdem sie durch die Luft geflogen waren um Sauerstoff in ihre Lungen zu füllen.
    Diese Freiheit, die er sein ganzes Leben lang nicht kennen gelernt hatte, tat ihm gut. Jede Sekunde genoss er die heiße Sonne auf seiner Haut, den Geruch des frischen Salzwassers um ihn herum, die Freundschaft, die ihn mit Sven verband und die Arbeit an Bord, die ihn ausfüllte. Am Beginn der Reise hatte er Schwielen und Blasen an seine Hände bekommen und das, obwohl er früher jeden Tag in der Werft gearbeitet hatte.
    Die vier Wochen des Kartoffelschälens und Schiffsplankenbürsten hatte er zum Glück hinter sich gebracht. Von nun an war jeder von ihnen im Wechsel an der Reihe.
    Mit direktem Kurs näherten sie sich Dakar, hatten die Kanarischen Inseln hinter sich gelassen, in Kürze würden sie den Äquator überqueren. An Bord kämpften sie mit der mörderischen Hitze, die ihnen ohne Bewegungen das Wasser über ihren Körper rinnen ließ. Um sie herum war nichts außer endlosem Wasser. Die kleinen Wellen klatschten an den treibenden Schiffskörper. Der Stand der Sonne war das Einzige, das sich an ihrem Umfeld veränderte.
    Seit Tagen waren sie nicht mehr in einen Hafen eingelaufen. Über Nacht lagen sie im weiten Meer vor Anker. In den Kajüten stank es entsetzlich nach Schweiß, nachts war nur schwer in den Schlaf zu kommen, da sich

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