Engel der Kindheit
Uhr!“
Hilflos rannte Lena in die offenen Arme ihrer Mutter und weinte bitterlich.
„Was hat er dir angetan, Lena!“ Entsetzt hielt sie ihre Tochter von sich und sah ihr in die Augen. „Sag bitte, hat er dich vergewaltigt?“
Unter Tränen lächelte Lena bei dieser Vorstellung. Wie wenn Nils jemand Gewalt antun könnte! Wie schlecht kannte ihre Mutter Lenas Geliebten? „Das könnte er nie, Mama, dazu wäre er gar nicht fähig!“ Kurz schloss sie die Augen um Kraft zu sammeln für die nächsten Worte. „Er ist weg! Ich habe ihn heute Morgen begleitet! Er ist mit einem Segelschiff auf dem Weg nach Australien! Die Angriffe seines Vaters haben ihn dazu getrieben, denen er einfach nicht mehr gewachsen war. Ich liebe ihn so sehr!“ Mit einer müden Handbewegung wischte Lena sich die Tränen aus den Augen. Ihr hängender Kopf vermittelte ihrer Mutter die Verzweiflung in der sich ihre Tochter befand.
„Mein armes Kind! Ich habe erst gestern Abend bemerkt, dass du all die Jahre für Nils da gewesen bist, das stimmt doch, oder?“ Behutsam ergriff Sonja das Kinn ihrer Tochter und hob deren Kopf an.
„Ja, das stimmt! Ich habe unzählige Nächte mit Nils in dem alten Schuppen verbracht, habe ihn getröstet, mit Essen versorgt, seine Wunden verbunden und war bei ihm, weil er mich gebraucht hat!“ Ein schmerzliches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Erst gestern haben wir uns unsere Liebe eingestanden! Jetzt ist er nicht mehr da!“ Mutlos sank sie auf einen Gartenstuhl, der auf der Terrasse stand.
„Lena! Du wirst darüber hinwegkommen! Du bist noch so jung!“ Einfühlsam wusste Sonja, dass das nur leere Worte waren, die nichts an dem Schmerz ihrer Tochter ändern würden, aber sie konnte ihr nichts anderes sagen, da sie keinen anderen Rat für sie hatte. Vielleicht würde sie ja wieder ihre Fröhlichkeit und ihre Unbekümmertheit wiederfinden, die sie als Kind in ihrem Wesen fest verankert hatte. Nun, da sie sich keine Gedanken mehr um Nils machen musste. Diesen Gedanken sprach sie nicht laut aus, denn sie wollte ihre Tochter nicht verletzen. Der erste Liebeskummer war schwer zu verarbeiten, aber irgendwann würde die Sonne wieder für Lena scheinen, sie würde Nils vergessen!
„Möchtest du ins Bett, oder etwas essen?“ Mitfühlend fuhr sie ihr über die Schultern.
Schleppend erhob sich Lena, schüttelte den hängenden Kopf, ihr langes Haar verdeckte ihre Augen. „Essen möchte ich nichts, aber ich werde ins Bett gehen!“ Fest umklammert hielt ihre Hand den Blumenstrauß, der sie ihr Leben lang an Nils erinnern sollte und schritt mühsam über den Flur zu ihrem Zimmer.
Leise schloss sie die Türe hinter sich, dann suchte sie in der Schublade ihres Schreibtisches nach einer Schnur, wickelte diese um den Strauß und band ihn kopfüber hängend an ihr Regal. Dort würde sie ihn trocknen lassen, um ihn später mit Haarspray einzusprühen. So würde er ihr ewig erhalten bleiben.
In ihrem Abendkleid legte sie sich auf ihr Bett und starrte an die Zimmerdecke.
Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Als es in ihrem Zimmer bereits dunkel geworden war, wachte sie vollkommen gerädert auf. All ihre Träume hatten sich nur um Nils gedreht. Lebendig hatte sie ihn gesehen, wie er sie nachmittags, nach dem er aus der Werft gekommen war, auf den Feldern gesucht hatte. Jedes Mal hatte er sie irgendwo gefunden. Gemütlich hatten sie sich unter einen Baum gesetzt und er hatte ihr erzählt, was er gearbeitet hatte.
Nun würde sie alleine sein! Keiner würde sie mehr suchen, mit niemandem konnte sie mehr reden, wie sie es mit Nils gekonnt hatte.
Gewaltsam versuchte Lena ihre trüben Gedanken zu vertreiben. Eigentlich sollte sie froh sein, dass Nils den Mut gefunden hatte, von Zuhause fortzugehen. Noch nie hatte er sie angelogen! Ganz sicher würde er sie zu sich holen und sie würde ihm folgen, bedingungslos!
Um sich frischer zu fühlen ging Lena unter die Dusche, wusch sich den letzten Duft ab, der an ihrem Körper von Nils haftete. Wie zärtlich er sie berührt hatte, wie unendlich glücklich sie in seinen Armen gewesen war.
Über sich selbst schüttelte sie den Kopf, zwang sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, doch immer wieder endeten alle Versuche, ohne Ausnahme, bei Nils.
Lena sah auf die Wanduhr im Badezimmer, deren Zeiger auf elf Uhr standen. Im Haus rührte sich nichts mehr, sie wickelte einen warmen Bademantel um ihren Körper, lief in die Küche, holte sich ein Glas Milch, bestrich
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