Engel der Kindheit
nur minimal zu stark ist!“
„Wer erzählt solchen Blödsinn? Ich habe das Schiff konstruiert! Sie wird so gebaut, wie ich es gezeichnet habe!“ Wutschnaubend knallte Samuel Rodney den Telefonhörer auf die Gabel. Niemand durfte sich hier erlauben, ihn zu kritisieren!
„Daddy! Was ärgert dich denn so? Nimm deine Tabletten!“ Graziös schritt Marie-Luise, sanft die Hüften wiegend, zu dem Schrank, in dem ein Wasserglas ihres Vaters stand. Am Wasserhahn füllte sie es bis zur Hälfte.
„Trink das!“ Befehlend, nicht der Hauch von Wärme, lag in ihrer hohen, melodiösen Stimme. Gefühlswärme brachte sie niemandem entgegen, für sie waren Äußerlichkeiten ausschlaggebend. Dazu zählte, allem voran, ihre eigene, beeindruckende Schönheit. Jeder Mann verrenkte sich den Kopf nach ihren endlos langen, biegsamen Beinen, ihren herrlich geformten, mitschwingenden Hüften, der ausdrucksvollen Wespentaille und ihren berauschenden Brüsten, die sie stets durch hautenge, tiefdekolletierte Blusen gekonnt betonte.
„Ich muss rüber in die Halle! James hat die Frechheit besessen, mir zu sagen, dass die `Charlotte´ falsch konstruiert ist! So eine Unverschämtheit!“ Hochrot im Gesicht, erhob Samuel Rodney sich, nahm sein Jackett, das über seinem Bürosessel hing, schlüpfte hinein und stapfte wütend aus dem Büro. Stöckelnd folgte seine Tochter ihm auf hohen Stilettabsätzen, hatte Schwierigkeiten mit ihrem Vater Schritt zu halten, der wütend über das Hafengelände marschierte. Aufgescheucht flog ein Gelbhaubenkakadu auf die Häuserspitze und pickte wütend schimpfend in die Luft.
Erbost öffnete Samuel Rodney das breite Tor und trat ein, vergaß, trotz des Ärgers, seine Manieren nicht und ließ seiner Tochter den Vortritt.
Ausnahmslos alle Arbeiter starrten auf die atemberaubende Tochter des Chefs, die arrogant den Kopf hob und keinen von ihnen beachtete.
„James!“ Zornig hallte der Name laut durch die Halle. Eingeschüchtert widmeten die Arbeiter sich ihrer Arbeit, sie spürten die Wut, die in Samuel Rodney brodelte.
Zögernd schritt James über die Stufen aus dem Büro seinem Chef entgegen, Nils folgte ihm, der mit James noch immer vor den Plänen gestanden hatte.
„Was soll das? Wollen Sie mir sagen, dass ich keine Schiffe mehr bauen kann?“ Luft holend nestelte Samuel Rodney an dem engen Kragen seines Hemdes, öffnete den obersten Knopf und lockerte seine Krawatte.
„Ich habe James darauf hingewiesen, dass die `Charlotte´ kentern wird!“ Nicht die Spur von Angst in seinem Blick, trat Nils seinem Arbeitgeber gegenüber.
Interessiert musterte Marie-Luise diesen Arbeiter genau, der so unverfroren vor ihren Vater trat. Umwerfend männlich sah er aus, hatte breite Schultern, durchtrainierte Muskeln, strahlte durch seine herausstechenden Wangenknochen und die gebrochene Nase eine animalische Kraft aus, die sie erregte, obwohl sie sich normalerweise nicht von der Arbeiterklasse angezogen fühlte. Mit keinem Blick betrachtete er sie, streifte sie nicht einmal. Diese Nichtbeachtung war sie absolut nicht gewöhnt. Normalerweise musste jeder Mann seine Blicke gewaltsam von ihr reißen.
„Du? Was bildest du dir ein, wen du vor dir hast? Du meinst wohl, nur weil ich dich studieren lasse, kannst du dich aufführen wie Gott! Aber, mein Junge, ich sage dir, was du kannst! Du kannst deine Sachen packen und verschwinden! Niemand sagt Samuel Rodney, dass er ein Schiff konstruiert, das kentern wird! Niemand!“ Hervortretende, blaupulsierende Adern an den Schläfen zum Platzen gefüllt, schritt er dicht auf Nils zu, fasste ihn am Kragen seines Poloshirts und zog ihn dicht zu sich heran.
Um eine halbe Kopflänge überragte Nils ihn und blickte ihm nur kalt und abweisend in die Augen. Zu viele Male war er geschlagen worden, um zusammenzuzucken, wenn ihn jemand schäumend vor Wut anbrüllte.
„Wenn Sie einen Moment Zeit hätten, würde ich Ihnen die kleine Korrektur gerne zeigen, die ich vornehmen würde.“ Ohne eine Miene zu verziehen, betrachtete er Samuel Rodney.
Sprachlos starrte Sven seinen Freund mit offenem Mund an. Alison, die Tochter von James, war ängstlich zu ihm getreten, hatte ihn am Ellenbogen erfasst und raunte ihm flehend ins Ohr, „Samuel Rodney ist unberechenbar! Bitte, ihr müsst dem Anderen helfen! Es wäre nicht der Erste, den er krankenhausreif schlagen würde! Er hat kein Herz, bitte, du musst ihm helfen!“ Zuerst hatte sie Angst um ihren Vater gehabt, aber anscheinend war er in
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