Engel der Kindheit
klopfte James Nils auf den breiten Rücken und führte ihn durch die Halle, in der ein umgekehrter, fast fertiger Rumpf einer Segeljacht auf Holzbalken aufgebaut war.
Andächtig streichelt Nils über den rohen gerundeten und spitzzulaufenden Stahlrumpf, der als nächstes gespritzt werden musste. Das Ruder und die verdeckte, kleinere Schiffsschraube waren am Heck des Schiffes auf seiner Unterseite eingearbeitet.
„Wird ein schönes Schiff! Sie wird schneller segeln, als die bisherigen!“ Interessiert betrachtete Nils sich die sonderbare tiefe Einkerbung am Bug des Stahlrumpfes, die millimetergenau gearbeitet war.
„Wie kommst du darauf?“ Verwundert schüttelte James seine ergrauten Haare, die er kurz geschnitten trug. Seinen ebenso grauen Schnauzbart hatte er an den Seiten nach außen gedreht.
„Ihr Rumpf ist vollkommen anders gearbeitet.“
Wie vor den Kopf geschlagen war James. Genau dieselben Worte hatte Samuel Rodney benutzt, als er seine Konstruktionspläne zu ihm gebracht hatte, um die `Charlotte´ bauen zu lassen.
„Woher hast du deine Weisheit? Hast du mit Herrn Rodney über die `Charlotte´ gesprochen?“ Scharf beobachtete er Nils, der ihm fest in die Augen sah.
„Nein! Seit ich hier angekommen bin habe ich ihn nur einmal gesehen, am ersten Tag!“ Alarmiert schritt Nils um das halbfertige Segelschiff. „Aber sie wird nicht so sicher im Wasser liegen! Es wird schwierig sein, sie zu steuern! Ich sehe es dem schmalen, flachen Rumpf an! Sie wird, wenn die Masten nicht exakt auf den Unterbau abgestimmt sind, kentern! Sie ist viel zu schmal und zu flach!“
„Verdammt! Möchtest du Samuel Rodney erklären, wie man Schiffe baut? Er hat Schiffe entworfen, da lagst du noch in den Windeln!“ Eilig schritt James über eine Treppe hoch, zu seinem Büro, besah sich seine Pläne, nach der die `Charlotte´ gebaut wurde und sah, was Nils meinte.
Unterdessen gesellte Nils sich zu den Männern, die die letzten Schweißarbeiten am Rumpf vornahmen.
„Hallo!“ Leichtfüßig betrat ein blondgelocktes junges Mädchen die Bauhalle. Bei jedem ihrer Schritte tanzten ihre blonden Korkenzieherlocken, sie trug einen weichfallenden Rock, ein anliegendes, zartrosafarbenes Oberteil, unter dem sich ihre kleinen Brüste rund und wohlgeformt abbildeten.
Im ersten Augenblick, als Nils sie sah, hatte sein Herz schneller geschlagen, da er dachte, seine Lena würde auf ihn zukommen.
Beim zweiten Blick sah er, dass sie ihr zwar ähnelte, aber die sanfte Anmut, die in jeder von Lenas Bewegungen zu fühlen war, fehlte dieser temperamentvollen jungen Dame, die über die Treppe zu ihrem Vater ins Büro eilte und die Türe aufriss.
„Paps, darf ich wieder zusehen? Ich bin fertig mit den Schulaufgaben und Mama ist froh, wenn ich mich hier bei dir rumtreibe!“ Stürmisch umarmte sie ihren Vater. Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte sie um, sprang die Stufen hinab und setzte sich auf eine graue Mauer, die halbhoch die Halle teilte, so dass ein weiteres Schiff darin gebaut werden könnte.
Herausfordernd suchten ihre Augen Svens Blick, der errötend zu Boden sah.
Vergnügt schmunzelte Nils, als er Svens verräterisches Blitzen in dessen Augen wahrnahm, nachdem er doch einen Blick in ihre kornblumenblauen Augen riskierte.
So war das also! Gestern hätte sein Freund noch Sack und Pack zusammengepackt und wäre verschwunden, heute himmelte ihn ein Mädchen an und, wie es aussah, erwiderte er ihre Gefühle.
„Hei, Nils! Komm mal in mein Büro!“ Grübelnd, die Arme vor der Brust verschränkt, stand James an der geöffneten Türe vor den Plänen.
„Du hast recht! Die Masten sind zu hoch! Wenn das Großsegel gesetzt ist und der Wind zu stark ist, kentert sie!“ Ratlos sah James Nils an, der neben ihm die Pläne betrachtete.
„Ja!“ Kritisch ergriff Nils den Bleistift und das Lineal neben dem Zeichenbrett, maß die Längen und Tiefen ab, zeichnete die Höhe des Masten ein, die maximal erreicht werden durfte.
„Hier und keinen Millimeter weiter! Alles andere ist waghalsig und lebensgefährlich!“ Nachdenklich fuhr Nils sich über die raue Wange. Seit Tagen hatte er sich nicht rasiert, da er keine Zeit dazu hatte.
„In Ordnung! Ich werde Samuel Rodney anrufen!“ Schweren Herzens griff James zum Telefonhörer und wählte die Nummer des Chefbüros.
„James hier! Ich habe ein Problem bei der `Charlotte´! Die Masten sind für den Rumpf im Verhältnis zu hoch! Sie wird kentern, wenn das Großsegel gesetzt und der Wind
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