Engel der Kindheit
ist hier geschehen?“ Leise flüsterte Alison Sven die Worte ins Ohr.
„Ich weiß es nicht, lass uns gehen, ich denke, er muss alleine sein!“ Zur Türe deutend nahm Sven Alisons Hand und zog sie mit sich fort. Hinter sich schlossen sie die Terrassentüre.
Voll Trauer in sich sah Nils auf den leeren Schuhkarton, sah die einzelnen verwehten Papier- und Bilderschnipsel, den Rest der Veilchen und Blütenblätter und spürte, wie heiße Tränen aus seinen Augen über seine Wangen rannen. Alles hatte er verloren, wie der Wind alles mitgenommen hatte, so hatte er seine Liebe vertan, aus ungezügelter Gier, aus körperlichem Verlangen. Wie nur sollte er es Lena beibringen, die damit rechnete, nun, nach der langen Wartezeit, endlich zu ihm kommen zu können?
Hoffnungslos legte er seinen Kopf auf seine, auf dem Tisch verschränkten, Arme. Wenn er die Augen schloss, fühlte er Lenas sanfte Hand, die seinen zuckenden Rücken streichelte, er hörte ihre helle, weiche Stimme, die ihn tröstete und er spürte ihren Körper, der sich vorsichtig, um ihm nicht wehzutun, an ihn schmiegte. Greifbar roch er ihren süßlichen, blumigen Duft, fühlte ihr überraschend raues Haar, das wunderbar weich und geschmeidig aussah, beim Berühren aber fest und widerspenstig war. Und ihre Augen! Ihre wunderschönen und sanften, von langen Wimpern eingerahmten, liebevollen Augen. Nie wieder würde sie ihn anblicken... Er musste sie freigeben! Ein anderer Mann würde sie berühren dürfen, sie streicheln und liebkosen, bis sie dessen Namen rief. Es tat so weh! Heiß und verglühend brannte der Schmerz in seinem Innersten. Alles in ihm verbrannte, bis er sich wie ein zurückbleibendes, verkohltes Stück Asche fühlte.
Zitternd erhob er sich, sammelte ein einziges Veilchen mit seinem herzförmigen Blatt ein, fand einen Papierschnipsel auf dem Lenas geschwungene Schrift zu sehen war, auf dem sie ihm geschrieben hatte, wie sehr sie ihn liebte und ein Bildteil, worauf ihre Augen zu sehen waren. Diese vier Teile drückte er an sein Herz. Langsam schleppte er sich zu seinem Zimmer, nahm seinen Briefblock hervor und begann den schmerzvollsten Brief zu schreiben, den er je in seinem Leben zu Papier gebracht hatte.
Aufgewühlt klebte er den Briefumschlag zu, unaufhaltsam rannen Tränen über sein Gesicht, nahm die Briefmarke zur Hand, leckte seine Zunge darüber, klebte sie auf den rechten äußersten Rand und warf den Brief voller Zorn in das Eck seines Zimmers.
Zaghaft klopfte es an seiner Zimmertüre, Nils reagierte nicht, verzweifelt warf er sich auf das Bett, vergrub sein Gesicht in den Armen und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.
Einen Spaltbreit öffnete Sven die Türe, „darf ich reinkommen?“ Als er keine Antwort erhielt, streckte er den Kopf zur Türe herein und sah seinen Freund weinend auf dem Bett liegen.
„Mensch, Nils, sag endlich, was los ist!“ Besorgt setzte Sven sich auf die Bettkante, er sah den Brief an Lena in der Ecke liegen.
„Mach bloß keine Dummheiten, du liebst sie doch!“
Wütend richtete Nils sich auf. „Die Dummheiten habe ich schon gemacht! Marie-Luise ist schwanger! Sie verlangt von mir, dass ich sie heirate! Sie hat mich in eine Falle gelockt und ich bin nichtsahnend hineingetappt.“
„Dann verschwinde doch mit dem nächsten Schiff! Keiner kann dich halten, wenn du weg möchtest! Du bist frei, wie ein Vogel! Du kannst zu deiner Lena gehen, sie würde nicht einmal etwas davon merken!“ Zufrieden mit sich und seinem Vorschlag, zuckte Sven die Schultern.
„Und mein Kind? Einen Teil von mir soll ich bei dieser Bestie zurücklassen, nicht wissend was mit ihm geschieht? Das kann ich nicht!“ So viele Gedanken waren Nils durch den Kopf gegangen, das Für und Wider jeder Idee hatte er abgewogen, immer wieder waren seine Fluchtgedanken an dem ungewissen Schicksal seines Kindes gescheitert. Es war ein unschuldiges Wesen, das nichts für seinen Fehler konnte. Wenn schon Marie-Luise sich nicht um das Kind kümmern würde, er würde darauf achten, dass es zu einem ehrlichen, sanften Menschen erzogen werden würde, so, wie Lena es ihn gelehrt hatte.
14. Kapitel
Seit Wochen lief Lena mehrmals am Tag zum Briefkasten, jedes Mal wurde sie enttäuscht, da kein Brief von Nils mit der Post mitgekommen war.
Ein ungutes Gefühl in ihrem Herzen sagte ihr, dass etwas geschehen sein musste. Nachts schlief sie schlecht, träumte von Nils, sah ihn mit hohem Fieber im Busch von Australien,
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