Engel der Kindheit
oder besinnungslos nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus liegen. Jeden Tag schickte sie ihm einen Brief, verzweifelt bettelte sie, dass er sich doch endlich melden sollte.
Vielleicht suchte er nur eine geeignete Wohnung und musste so viel arbeiten, dass er nicht dazukam, sich zu melden.
Zurzeit waren Weihnachtsferien, die Vorlesungen würden erst in drei Tagen wieder beginnen. Mit Freude verfolgte Lena die Ausführungen ihrer Dozenten und Professoren. Durch die Erfahrung, die sie bei ihrem Vater gesammelt hatte, war sie ihren Kommilitonen weit voraus.
Wieder einmal hörte Lena das Klappern des Briefkastens. Im Schneidersitz saß sie mit Babs auf dem Boden und spielte ein neues Legespiel mit ihr, das sie zu Weihnachten bekommen hatte. Draußen war es trübe, kalt und ungemütlich. Unaufhörlich nieselte es und der Nebel verschleierte den Blick aus dem Fenster.
Geschwind sprang Lena auf, fuhr Babs entschuldigend über den Lockenkopf, nahm den Briefkastenschlüssel und rannte an das Gartentor. Flink schloss sie den silbernen Briefkasten auf, sofort fiel ihr Nils Brief in die Hände.
Endlich! Aufatmend drehte sie sich glücklich im Kreis. Jetzt machte ihr auch der Nieselregen nichts mehr aus, den sie feucht und kalt auf ihrer Haut spürte. Ihre Haare sogen die Feuchtigkeit in sich auf und begannen sich um ihre Schläfen zu kräuseln. Glücklich strich Lena sich die Haare aus der Stirn, verschloss den Briefkasten und rannte über den schmalen Weg zum Haus zurück.
„Babs, gehst du kurz zur Momi, fragst du sie, ob sie dir etwas vorlesen möchte, ich muss einen Brief von Papi lesen!“ Liebevoll kniete Lena neben ihrer Tochter, die sie interessiert ansah. Plötzlich strahlten die Augen ihrer Mutter wieder.
Kichernd sprang Babs auf ihre stämmigen Beinchen, „Arielle nehm’ ich mit!“ Nahm das Bilderbuch aus dem Regal und trottete gemütlich zu ihrer Momi. Im März würde sie drei Jahre alt werden. Lustig schwang ihr Rock um ihre Beine, die in einer warmen Strumpfhose steckten.
Überglücklich schloss Lena die Türe, setzte sich gemütlich auf ihr Bett, lehnte sich an die Wand und zog ihre Beine zu sich her. Behutsam öffnete sie das Kuvert. Holpernd tat ihr Herz einen Sprung, als sie Nils Schrift sah. Sie liebte ihn so sehr!
Meine über alles geliebte Lena!
Ich muss dir heute so schrecklich weh tun und weiß nicht, wie ich es dir schreiben soll! Mein Herz ist voller Liebe nach dir und doch muss ich die Worte finden, die uns für immer trennen werden.
Geliebte Lena, ich habe die größte Dummheit meines Lebens begannen und habe mich auf eine kalte, berechnende Frau eingelassen, die mich in ihre Netze gelockt hat. Ich bin in ihre Falle getappt, aus der ich mich nun nicht mehr befreien kann. Sei sicher, dass ich sie nicht liebe, lieben werde ich mein ganzes Leben lang nur dich, aber sie bekommt mein Kind und besteht auf eine Heirat. Ich bringe es nicht über das Herz, mein Kind einem ungewissen Schicksal zu überlassen, bei einem Monster von einer Frau. Wenn ich das so hart schreibe, denke bitte nicht, dass ich diese Worte aus der Luft gegriffen habe, es ist die reine Wahrheit! Sie ist eine herzlose Hexe, mit der ich mein zukünftiges Leben verbringen werde, nur wegen einem kleinen unschuldigen Wesen, das nichts für meinen Fehler kann.
Lena, ich werde nie aufhören, dich zu lieben, ich werde dich immer in meinem Herzen tragen!
Jetzt kommt das Schlimmste, das mir das Herz bricht, wenn ich diese Worte schreiben muss.
Ich muss dich freigeben! Ich... Lena, es ist so schwer,... ich wünsche dir, dass du einem anderen Mann das Glück schenkst, das ich mir an deiner Seite gewünscht habe!
Auf immer dein dich über alles liebender
Nils
P.S. Bitte schreibe mir nicht mehr, ich würde es nicht ertragen!
Durcheinanderwirbelnd verschwammen die Worte vor Lenas Augen, zitternd presste sie ihre Faust in den Mund um ihr Schluchzen zu unterdrücken. In Strömen rannen die Tränen über ihr Gesicht. Wieder und wieder las sie die vernichtenden Worte, versuchte ihren Sinn zu verstehen, der für sie so unfassbar war.
Verzweifelt warf sie sich in ihr Kissen, umarmte es mit ihren Armen und schluchzte gedämpft hinein. Es konnte doch nicht sein! Es durfte nicht sein! Unmöglich! Es war unmöglich! So nahe daran waren sie, beieinander zu sein. Lena hatte einen zugesicherten Studienplatz in Sydney, Nils sah sich nach einer Wohnung um und dann würde sie zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter zu Nils kommen! Drei Jahre hatten
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