Engel Der Nacht
sehen, stimmt’s?«, sagte ich zu Patch, erstaunt über seine Fähigkeiten, wenn ich auch den Gebrauch, den er davon machte, verabscheute.
Patch lächelte, aber seine Mundwinkel waren verkniffen.
»Mensch!«, sagte die Freundin und warf die Hände in die Luft. Sie verdrehte wütend die Augen und sagte zu ihrem Freund: »Tu doch was!«
»Du musst jetzt aufhören zu reden«, sagte der Kerl zu mir. Er zeigte auf die Leinwand. »Sieh dir den Film an. Hier - nimm meine Cola.«
Ich schwang mich in den Gang hinaus. Ich fühlte, wie
Patch hinter mir her ging, ganz nah, mich fast berührte. So blieb er, bis wir aus dem Kino waren.
Auf der anderen Seite der Tür nahm Patch meinen Arm und führte mich durch die Eingangshalle zur Damentoilette.
»Was ist das bloß mit dir und den Mädchenklos?«, fragte ich.
Er führte mich durch die Tür, schloss sie und lehnte sich dagegen. Seine Augen waren überall auf mir. Und sie sahen ganz so aus, als wollte er mich am liebsten zu Tode schütteln.
Ich lehnte am Waschbecken, meine Handflächen gruben sich in den Rand. »Du bist wütend, weil ich nicht in den Delphic gefahren bin.« Zittrig zuckte ich die Schultern. »Warum ausgerechnet der Delphic, Patch? Es ist Sonntagabend. Der Delphic schließt bald. Hattest du vielleicht einen besonderen Grund, weshalb ich zu einem dunklen, fast verlassenen Vergnügungspark fahren sollte?«
Er kam auf mich zu, bis er nah genug war, dass ich seine schwarzen Augen unter der Baseballmütze sehen konnte.
»Dabria hat gesagt, dass du mich opfern musst, um einen menschlichen Körper zu bekommen«, sagte ich.
Patch schwieg einen Moment. »Und du glaubst, ich würde das tun?«
»Dann stimmt es also?«
Unsere Augen fanden sich. »Es muss ein beabsichtigtes Opfer sein. Dich einfach zu ermorden würde nichts bringen.«
»Bist du der Einzige, der mir das antun kann?«
»Nein, aber ich bin wahrscheinlich der Einzige, der das Endresultat kennt, und der Einzige, der es versuchen würde. Deshalb bin ich in die Schule gekommen. Ich musste in deine Nähe gelangen. Ich brauchte dich. Das ist der Grund, aus dem ich in dein Leben getreten bin.«
»Dabria hat mir erzählt, du hättest dich in ein Mädchen
verliebt.« Ich hasste mich selbst dafür, dass ich unvernünftige Eifersuchtsschübe verspürte. Es ging hier nicht um mich. Das sollte ein Verhör sein. »Was ist passiert?«
Ich wollte verzweifelt, dass Patch etwas preisgab, irgendetwas, das mir einen Schlüssel zu seinen Gedanken geliefert hätte, aber seine Augen waren ein kaltes Schwarz, alle Gefühle außer Sicht. »Sie ist alt geworden und gestorben.«
»Das muss ja scheußlich für dich gewesen sein«, blaffte ich.
Er wartete ein paar Sekunden, bevor er antwortete. Seine Stimme war so dunkel, dass ich schauderte. »Wenn du willst, dass ich dir alles erzähle, dann werde ich das tun. Ich erzähle dir bis ins kleinste Detail, wer ich bin und was ich getan habe. Ich grabe alles aus, aber du musst nachfragen. Du musst es wollen. Willst du sehen, wer ich gewesen bin oder wer ich heute bin? Ich bin nicht gut«, sagte er, mich mit Augen durchbohrend, die alles Licht aufnahmen, aber keines abgaben, »aber früher war ich schlimmer.«
Ich ignorierte das Rumoren in meinem Magen und sagte: »Erzähl.«
»Als ich sie zum ersten Mal sah, war ich noch ein Engel. Es war augenblickliche, besitzergreifende Begierde. Es machte mich verrückt. Ich wusste nichts von ihr, außer dass ich alles in meiner Macht Stehende tun würde, um ihr nahe zu sein. Ich beobachtete sie eine Weile, und dann setzte ich mir in den Kopf, dass ich, wenn ich auf die Erde hinunterkäme und einen menschlichen Körper in Besitz nähme, aus dem Himmel verbannt und ein Mensch werden würde. Nur wusste ich nichts von Cheschwan. Ich kam in einer Augustnacht herunter, aber ich konnte den Körper nicht besetzen. Auf meinem Weg zurück in den Himmel hielt mich eine Unzahl von Racheengeln auf und riss mir die Flügel aus. Sie warfen mich aus den Lüften. Ich wusste sofort, dass etwas
nicht stimmte. Wenn ich Menschen ansah, war alles, was ich fühlte, ein unstillbares Verlangen danach, in ihren Körpern zu sein. All meine Kräfte hatten mich verlassen, und ich war dieses schwache, jämmerliche Ding. Kein Mensch, sondern ein gefallener Engel. Ich merkte, dass ich alles aufgegeben hatte, einfach so. Daraufhin habe ich mich dafür gehasst. Ich dachte, ich hätte es für nichts aufgegeben.« Seine Augen sahen mich so intensiv an, dass ich dachte, ich
Weitere Kostenlose Bücher