Engel Der Nacht
mich gefragt, ob ich die hier entsorgen könnte, da ich ja sowieso weggehen wollte.«
Elliot sah nicht aus, als würde er ihr glauben, und Vee sah nicht aus, als machte ihr das etwas aus. Ich stand auf, über und über mit Kostümierungsutensilien beladen, und schluckte meine brennende Frustration herunter.
Während ich mich zwischen den Tischen hindurchschlängelte, suchte ich die Türe zum Gang, der mich zu den Toiletten brachte. Der Gang war terrakottafarben gestrichen und reich dekoriert mit Maracas, Strohhüten und Holzpuppen.
Hier hinten war es noch heißer, und ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich hatte soeben eine spontane Planänderung beschlossen: Jetzt bestand mein Plan darin, diese Geschichte hier so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Und sobald ich am Tisch zurück wäre, würde ich mir eine Ausrede einfallen lassen, um zu gehen, und Vee mitnehmen. Ob sie wollte oder nicht.
Nachdem ich unter die drei Türen der Damentoilette gespäht und sichergestellt hatte, dass ich allein war, schloss ich die Eingangstür ab und ließ den Inhalt der 7-Eleven-Tüten auf den Waschtisch fallen. Eine platinblonde Perücke, ein lila Push-up-BH, ein schwarzes Bustier, ein paillettenbesetzter Minirock, grell pinkfarbene Netzstrümpfe und ein Paar Stilettopumps aus Haifischhaut Größe neununddreißig.
Ich stopfte den BH, das Bustier und die Strumpfhosen zurück in die Tüten. Nachdem ich mich aus meinen Jeans geschält hatte, zog ich den Minirock an. Ich verstaute meine Haare unter der Perücke und trug Lippenstift auf. Als krönenden Abschluss legte ich Hochglanzlipgloss auf.
»Du kannst das«, versicherte ich meinem Spiegelbild, drehte den Deckel wieder auf den Lipgloss und tupfte meine Lippen ab. »Du kannst einen auf Marcie Millar machen. Männer verführen, um Geheimnisse aufzudecken. Was soll daran schon schwer sein?«
Ich kickte meine Autofahr-Mokassins weg, steckte sie in eine Tüte zusammen mit den Jeans und schob alles unter den Waschtisch außer Sichtweite. »Außerdem«, fuhr ich fort, »ist nichts verkehrt daran, wenn man sein bisschen Stolz für lebensnotwendige Infos opfert. Von einem etwas morbiden Standpunkt aus betrachtet, könnte man sogar sagen, dass, wenn du keine Antworten bekommst, du am Ende vielleicht tot bist. Ob du nun willst oder nicht, irgendjemand da draußen will dir Böses.«
Ich zog die Haifischpumps in mein Gesichtsfeld. Sie waren nicht das Übelste, was ich je gesehen hatte. Man konnte sie sogar sexy finden. Jaws trifft auf Coldwater, Maine. Ich zog sie an und übte mehrfach, von einem Ende des Toilettenraums zum anderen zu gehen.
Zwei Minuten später schob ich mich auf einen Hocker an der Bar.
Der Barkeeper fasste mich ins Auge. »Sechzehn?«, riet er. »Siebzehn?«
Er sah ungefähr zehn Jahre älter aus als ich und hatte zurückweichendes braunes Haar, das er kurzgeschnitten trug. Ein silberner Ring hing in seinem rechten Ohrläppchen. Weißes T-Shirt und Levi’s. Sah nicht schlecht aus … aber auch nicht toll.
»Ich bin keine minderjährige Trinkerin«, schrie ich über die Musik und die Gespräche rundherum hinweg. »Ich warte auf einen Freund. Hier habe ich den besten Blick auf die Tür.« Dann fischte ich die Liste mit meinen Fragen aus meiner Handtasche und schob das Papier ganz unauffällig unter einen gläsernen Salzstreuer.
»Was ist das?«, fragte der Barkeeper, wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und deutete mit dem Kopf auf die Liste.
Ich schob sie weiter unter den Salzstreuer. »Nichts«, antwortete ich so unschuldig wie möglich.
Er zog eine Augenbraue hoch.
Spontan beschloss ich, mit der Wahrheit etwas freier umzugehen. »Es ist … eine Einkaufsliste. Ich muss auf dem Weg nach Hause noch ein paar Sachen für meine Mutter mitnehmen.« Was war mit dem Flirten geschehen?, fragte ich mich. Und mit Marcie Millar?
Er warf mir einen prüfenden Blick zu, von dem ich entschied, dass er nicht durch und durch negativ war. »Ich arbeite
lang genug in diesem Job, um eine Lügnerin zu erkennen.«
»Ich bin keine Lügnerin«, gab ich zurück. »Vielleicht habe ich gerade einmal gelogen, aber das war nur eine einzige Lüge. Eine kleine Lüge macht noch keine Lügnerin.«
»Du siehst aus wie eine Reporterin«, sagte er.
»Manchmal arbeite ich für das eZine an meiner Highschool.« Ich wollte mich ohrfeigen. Reporter waren nicht vertrauenerweckend. Reporter kamen den Leuten normalerweise verdächtig vor.
»Aber heute Abend arbeite ich
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