Engel Der Nacht
Parklücke und stellte den Motor ab.
»Igitt«, sagte Vee, als ich ihr die Schlüssel zurückgab und meine Finger die ihren berührten. »Kannst du nicht noch ein bisschen mehr schwitzen?«
»Ich bin nervös.«
»Ach, was du nicht sagst!«
Beiläufig sah ich zur Tür.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Vee mit einem harten Zug um den Mund. »Und die Antwort lautet nein. Ein ganz klares Nein.«
»Du weißt überhaupt nicht, was ich denke«, erwiderte ich.
Vee nahm meinen Arm mit festem Griff. »Aber sicher weiß ich das.«
»Ich hatte nicht vor, wegzulaufen. Ich doch nicht.«
»Lügnerin.«
Dienstag war Patchs freier Abend, und Vee hatte mich davon überzeugt, dass dies der perfekte Zeitpunkt sei, um seine Kollegen auszufragen. Ich stellte mir vor, wie ich an die Bar
gleiten, dem Barmann einen schüchternen Marcie-Millar-Blick zuwerfen und dann locker zum Thema Patch übergehen würde. Ich brauchte seine Adresse. Ich musste wissen, ob er jemals verhaftet worden war. Ich musste wissen, ob es eine Verbindung zu dem Kerl mit der Skimaske gab, wie dürftig sie auch sein mochte. Und ich musste herausfinden, warum der Typ mit der Skimaske und das mysteriöse Mädchen in mein Leben getreten waren.
Ich schielte in meine Handtasche, nur um ganz sicherzugehen, dass ich die Liste mit den Fragen fürs Verhör, die ich vorbereitet hatte, auch noch bei mir trug. Auf einer Seite der Liste ging es um Patchs Privatleben. Die andere Seite war voll mit Flirtsprüchen. Man weiß ja nie.
»Oh, oh«, sagte Vee. »Was ist das denn?«
»Nichts«, wiegelte ich ab, während ich die Liste zusammenfaltete.
Vee versuchte, sie mir aus der Hand zu schnappen, aber ich war schneller und hatte sie tief in meiner Handtasche versenkt, bevor sie sie zu fassen kriegen konnte.
»Regel Nummer eins«, sagte Vee. »Beim Flirten gibt es keine Notizen.«
»Jede Regel hat ihre Ausnahme.«
»Aber die bist nicht du!« Sie schnappte zwei 7-Eleven-Tüten vom Rücksitz und schwang sich aus dem Auto. Sobald ich ausstieg, warf sie mir die beiden Tüten mit ihrem heilen Arm über das Dach des Neon hinweg zu.
»Was ist das?«, fragte ich und fing die Tüten auf. Die Halter waren zugebunden, und ich konnte nicht hineinsehen, aber der unverwechselbare Absatz eines Stiletto-Pumps drohte, durch das Plastik zu stechen.
»Größe neununddreißig«, sagte Vee. »Haifischhaut. Es ist einfacher, eine Rolle zu spielen, wenn du entsprechend angezogen bist.«
»Ich kann auf hohen Absätzen nicht laufen.«
»Dann ist es ja gut, dass ich keine hohen genommen habe.«
»Sie sehen aber ganz schön hoch aus«, sagte ich mit einem zweifelnden Blick auf den herausragenden Absatz.
»Fast elf Zentimeter. ›Hoch‹ hört bei neun Zentimetern auf.«
Reizend. Wenn ich mir nicht den Hals bräche, dann würde ich mich ganz sicher lächerlich machen, während ich versuchte, Patchs Kollegen dazu zu verführen, mir seine Geheimnisse preiszugeben.
»Ach übrigens«, sagte Vee, als wir den Gehsteig zur Eingangstür entlanggingen. »Ich habe noch ein paar Leute mehr eingeladen. Je mehr, umso spaßiger, stimmt’s?«
»Wen?«, fragte ich, wobei ich dunkle Vorahnungen in meiner Magengegend zu spüren begann.
»Jules und Elliot.«
Bevor ich Zeit hatte, Vee zu erklären, für wie schlecht ich diese Idee hielt, sagte sie: »Der Augenblick der Wahrheit: Ich habe mich sozusagen ein paar Mal mit Jules getroffen. Heimlich.«
»Was?«
»Du solltest mal sein Haus sehen. Da kommt Bruce Wayne nicht mit. Seine Eltern müssen entweder südamerikanische Drogenbarone sein oder richtig ernsthaft altes Geld haben. Da ich sie noch nicht kennen gelernt habe, kann ich dir nicht sagen, was von beidem.«
Ich war sprachlos. Mein Mund ging auf und zu, aber ich brachte keinen Ton heraus. »Wann ist denn das passiert?«, konnte ich schließlich fragen.
»So ziemlich direkt nach dem schicksalhaften Morgen bei Enzo’s.«
»Schicksalhaft? Vee, du hast ja keine Ahnung …«
»Ich hoffe, sie sind schon da und haben einen Tisch reserviert«, sagte Vee und reckte ihren Hals, um die Menge, die sich an den Türen drängelte, besser überblicken zu können. »Ich habe keine Lust zu warten. Tatsache ist, ich bin nur zwei Minuten vom Hungertod entfernt.«
Ich nahm Vee beim Ellbogen und zog sie zur Seite. »Es gibt da was, das ich dir sagen muss …«
»Ich weiß, ich weiß«, antwortete sie. »Du glaubst, es könnte vielleicht sein, dass Elliot mich Sonntagabend überfallen hat. Also ich glaube, du
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