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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Kairo,
Seide aus Cordoba, kaum ein Gebiet, auf dem sie nicht die Nase vorn hatten. Beziehungsweise
haben. Und das bereits seit geraumer Zeit. Aber was soll’s – auf die Art bist du
wenigstens zu einer Brille gekommen. Schon gewusst, dass Alhazen, wie er im Abendland
genannt wird, in seinem Werk ›Schatz der Optik‹ zu dem …«
    »Es hat geklopft, Vater Alban.«
    »… Schluss gekommen ist, dass … geklopft, sagst
du? Wie schade, ausgerechnet jetzt, mitten in meinem gelehrten Diskurs.« Obwohl
er ihn im Grunde nicht benötigte, stützte sich Bruder Alban auf seinen Stock, stand
auf und begab sich zur Tür. »Na, dann wollen wir mal sehen, wer … ach, Ihr seid
es, Bruder Clemens – was habt Ihr auf dem Herzen?«
    »Bitte um Vergebung, Bruder Alban, aber ich
muss Euch dringend sprechen!«, brach es aus dem Kustos [37] , einem Rauschebart in den späten Dreißigern, nach kurzem
Zögern ohne Punkt und Komma hervor, während er händeringend vor Bruder Albans Cella
stand. »Wie Euch bekannt ist, befindet sich Konrad Groß, unser Guardian [38] , mitsamt seinem
Stellvertreter auf Reisen, und da dachte ich, es sei besser, wenn ich mich an Euch
wende.«
    »Sprecht, Bruder. Was ist so wichtig, dass es
nicht bis morgen früh warten kann?«
    Auf einen erneuten Redeschwall gefasst, bezog
Bruder Alban auf der Schwelle Position und wartete, bis sich der konsternierte Minoritenbruder
gefasst hatte. Wider Erwarten tat sich Letzterer jedoch mit einer Antwort schwer
und nestelte verlegen an seinem Cingulum [39] herum. »Wichtiger geht es fast nicht!«, stieß er mit
bestürzter Miene hervor und bedeutete seinem Gesprächspartner, ihm zu folgen. Böses
ahnend, schloss sich Bruder Hilpert den beiden Franziskanern an. »Glaubt mir, so
etwas habt Ihr hier noch nicht erlebt!«
     
    *
     
    Schon beim Betreten der Kirche, in die er dem Lektor gefolgt war, hatte
Bruder Hilpert ein ungutes Gefühl. Es sollte sich bewahrheiten. Das Gotteshaus lag
in tiefem Dunkel, mit Ausnahme des Katafalks, hinter dem sich die schildförmigen
Arkaden des Lettners abzeichneten. Um ihn herum waren sieben Duftkerzen gruppiert,
eine am Kopfende und die übrigen, ausnahmslos aus feinstem Bienenwachs, an den beiden
Längsseiten. Ein betörender Duft erfüllte den Raum, teils nach Lavendel, teils aber
auch nach Veilchen, Oleander und Rosmarin. Für Bruder Hilperts Geschmack, dem Schlichtheit
über alles ging, des Guten entschieden zu viel. Im Haus Gottes, so seine Maxime,
taten die Gläubigen gut daran, sich auf ihre Andacht zu konzentrieren. Prunkvolle
Gewänder, Räucherwerk und Duftkerzen lenkten dagegen nur vom Zweck ihres Hierseins
ab. Gott verlangte nach Aufmerksamkeit, nicht nach Gläubigen mit umnebeltem Sinn.
    Je mehr er sich dem Katafalk und dem darauf
postierten Eichenholzsarg näherte, desto deutlicher trat ein unersprießlicher, gänzlich
anderer Geruch zwischen den paradiesisch anmutenden Duftwolken hervor.
    Bruder Hilpert blieb ruckartig stehen. Noch
war Zeit, der Kirche und allem, was auf ihn zukommen würde, den Rücken zu kehren.
Er war Gast hier, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Und es war die Aufgabe von
Bruder Alban, Licht ins Dunkel des Vorfalls zu bringen, der, wie sich bereits andeutete,
den gesamten Konvent in Furcht und Schrecken versetzen würde.
    Doch alles Sträuben, alles
Zögern und Zaudern hatte keinen Zweck. Der Odem des Todes, welcher ihm aus dem offenen
Sarg entgegenschlug, zog ihn magisch an. Kaum wahrnehmbar, bahnte er sich inmitten
der Duftschwaden seinen Weg, mischte sich unter sie, infizierte ihr Aroma. Bruder
Hilpert erschauderte. Wer wie er häufig mit Toten zu tun hatte, konnte die Mixtur
aus Rosenöl, Duftsalben und den ersten Anzeichen von Verwesung, die bald ihre volle
Wirkung entfalten würde, auf Anhieb identifizieren. Einstweilen glich sie einem
lauen Lüftchen, und es schien, als sei die Tote, deren Begräbnis am morgigen Tag
stattfinden sollte, gerade erst in den Sarg gebettet worden.
    Eine Erkenntnis, auf die
er liebend gerne verzichtet hätte, stand ihm allerdings noch bevor. Nur noch wenige
Fuß vom Katafalk entfernt, verlangsamte Bruder Hilpert seinen Schritt, und als er
einen Blick ins Innere des Sarges warf, war seine Vorahnung zur Gewissheit geworden.
    Das Innere des Sarges war
leer, die Tote, welche er beherbergt hatte, spurlos verschwunden.
    Einer konsternierter als der andere, warfen
die drei Ordensmänner einander ratlose Blicke zu. Am stärksten in Mitleidenschaft
gezogen war der Kustos, am

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