Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
im
Lande und nähre dich redlich!«, pflegte er mit Blick auf die im Volksmund als ›Pfeffersäcke‹
titulierten Fernhandelskaufleute zu sagen, womit er andeuten wollte, es genüge ihm,
für einen Zentner Schafwolle sieben Gulden, pro Fuder [45] Wein den Vorjahrespreis
und für ein Malter [46] Korn mindestens zwei Pfund Heller einzustreichen. Traf dies ein, war
die Welt für ihn in Ordnung, und es kümmerte ihn wenig, wenn man in den Kontoren
zu Nürnberg, Würzburg oder Augsburg über seinesgleichen nur die Nase rümpfte oder
wenn aufwieglerische Handwerker auf die Zulassung von Zünften pochten.
    Dass die Welt für den behäbigen, mittelgroßen
und etliche Pfunde zu schweren Genussmenschen am heutigen Tage nicht in Ordnung
war, sah man ihm auf Anhieb an, wenngleich er sich Mühe gab, dies zu verbergen.
»Wie Ihr, verehrte Anwesende, sicherlich wisst«, richtete er das Wort an das gute
Dutzend Honoratioren, wozu unter anderem die beiden Spitalpfleger, vier Amtmänner
und zwei Klosterpfleger gehörten, »ist es um unser Stadtsäckel derzeit nicht gut
bestellt.«
    »Das ist ja wohl nichts Neues!«, knurrte der
Notarius, schiefmäulig, vierschrötig und von einer Trägheit besessen, die im Kreis
der Ratsherren ihresgleichen suchte. »Mehr habt Ihr uns nicht zu sagen?«
    »Ich denke, es ist wieder einmal an der Zeit,
die Juden zur Ader zu lassen«, kam einer der beiden Steurer [47] der Antwort des Bürgermeisters zuvor und grinste schelmisch
in die Runde. »Nur eine klitzekleine Sonderabgabe, und wir sind sämtliche Sorgen
los.«
    »So einfach, wie Ihr Euch das vorstellt, Meister
Spörlein, ist die Sache leider nicht«, gab Leberecht zu bedenken und rutschte unruhig
auf seinem Amtssessel hin und her, in dessen Rückenlehne das Stadtwappen, die rote
Burg auf silbernem Grund, eingelassen war. »Oder habt Ihr vergessen, dass wir die
Juden bereits mehrere Male geschröpft haben?« Der Angesprochene verneinte. »Na also.
Und darum rate ich davon ab, diesbezüglich noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Der
Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Das brauche ich Euch wohl nicht zu
sagen. Acht Familien, die mehr als 100 Gulden pro Jahr und damit ein Zehntel unseres
Steueraufkommens berappen – wenn das nicht reicht, will ich Vinzenz Beutelschneider
heißen!«
    »Habt Ihr vielleicht eine bessere Idee?«
    »Offen gestanden, nein.« Wie so häufig, wenn
er in Bedrängnis geriet, zupfte der Bürgermeister sich auch jetzt an der fleischigen
Nase, deren Rötung vom regelmäßigen Weinkonsum ihres Besitzers kündete, und runzelte
die von Sorgenfalten durchzogene Stirn. Dann schob er sein Doppelkinn nach vorn
und sah die Anwesenden der Reihe nach an. »Wiewohl ich zugeben muss, dass dies nicht
der Grund ist, weshalb ich Euch habe rufen lassen, Ihr Herren.«
    »Welcher dann?«
    »Auf die Gefahr, Euch zu langweilen, Baumeister:
Es geht um die nächsten Wahlen.«
    »Um die Wahlen?«, warf der Johannispfleger [48] mit verständnisloser
Miene ein. »Bis Walpurgis [49] ist doch noch genug Zeit, oder?«
    »So gesehen, ja!«, stimmte Leberecht zu, den
unter schweren Lidern hervortretenden Ochsenblick auf seinen Schreibtisch geheftet,
wo sich ein halbes Dutzend in Schweinsleder eingebundene Folianten, Pergamentrollen
jedweder Größe und Qualität, Federhalter, Messer zum Schärfen von Gänsekielen und
ein erdfarbener Behälter mit Siegelwachs befanden. »Was jedoch nicht ausschließt,
dass wir uns von vornherein über bestimmte Dinge im Klaren sein sollten. Damit wir
keine unliebsamen Überraschungen erleben.«
    »Hört sich irgendwie nach Verschwörung an!«,
lästerte Heinrich Nyeß, der Notarius, ehemaliger Studiosus der Jurisprudenz und
nach allgemeiner Überzeugung ein veritabler Spötter vor dem Herrn. »Nur keine Scheu,
Leberecht – was führt Ihr im Schilde?«
    »So leid es mir tut, Notarius – was Eure Frage
betrifft, seid Ihr bei mir an der falschen Adresse.«
    »Tatsächlich? Und welche wäre Eurer Meinung
nach die richtige?«
    »Eine Frage, Notarius: Seid Ihr wirklich so
schwer von Begriff? Oder tut Ihr nur so?« Bei dem Honoratioren, der anstelle des
Bürgermeisters das Wort ergriff, handelte es sich um einen in Schwarz gekleideten
Mann Anfang 30, der es bisher vermieden hatte, an der Debatte teilzunehmen. Er maß
nahezu sechs Fuß, hatte lockiges, bis auf die Schultern herabreichendes Haar und
blaugraue Augen. Aus seinem Gesicht, das durch eine auffällige Blässe gekennzeichnet
war, stachen die Adlernase, ein Paar weit

Weitere Kostenlose Bücher