Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
begehen.«
»Das ist doch wohl nicht Euer Ernst, Bermetter.
Erklärt Euch, wenn’s beliebt.«
»Nichts lieber als das, Notarius.« Der Tuchhändler
wirbelte herum, verschränkte die Arme und richtete sich zu voller Größe auf. »Wer,
frage ich mich –«, deklamierte er in überheblichem Ton, »wer außer der alten Irmtrud
käme als Mörder meiner unglückseligen Stiefschwester in Frage?«
»Mörder?«, japste Leberecht, wohl wissend, auf
wen der Tuchhändler mit seiner Frage abzielte. »Könnt Ihr das beweisen?«
»Beweisen, welch hehres Wort!« Ein Lächeln auf
den farblosen Lippen, wandte sich Bermetter seinem Intimfeind zu. »Was meint Ihr,
Pluntzhart, welche Strafe wäre für die Kreatur, welche wir beide im Sinn haben,
die angemessenste?« Und fügte postwendend an: »Was mich betrifft, schlage ich vor,
den Betreffenden zum Tod durch Verhungern …«
Weiter kam der Tuchhändler, der den Anwesenden
einmal mehr Furcht einflößte, zunächst nicht. Schuld daran war nicht etwa mangelnde
Entschlossenheit, sondern die Tatsache, dass die Tür mit einem heftigen Tritt aufgestoßen
wurde.
»Was fällt Euch ein, Nichtswürdiger!«,
entrüstete sich der Bürgermeister und stellte sich dem Eindringling in den Weg.
»Wer gibt Euch das Recht, hier unangemeldet hereinzuplatzen?«
»Der da!«, stieß Laurenz
Tuchscherer wutschnaubend hervor, würdigte Leberecht keines Blickes und stürmte
mit geballter Faust auf seinen Schwager zu. »Dieser Drecksack, der vorgibt, ein
feiner Herr zu sein!«
»Ad eins, Schwager – wir
befinden uns hier nicht in einem der Freudenhäuser, welche Ihr des Öfteren zu frequentieren
pflegt. Und ad zwei: Wir stecken mitten in einer Besprechung. Habt also die Güte,
Eure Rachegelüste zu zügeln.«
Tuchscherer ließ sich jedoch
nicht einschüchtern. Drauf und dran, handgreiflich zu werden, rang er seinen Jähzorn
nieder, zog einen Pergamentfetzen aus der Tasche und hielt ihn Bermetter vors Gesicht.
»Warst du das?«, kläffte er, den Blick flammend vor Hass. »Spuck’s aus, Memme, oder
bist du etwa zu feige dazu?«
»Erhitzt Euch nicht, Schwager.
Wo stammt das her?«
»Aus meiner Satteltasche.«
Bermetter verzog keine Miene. »Superbia!«, rief
er hohnlächelnd aus, nachdem er die Buchstaben, welche auf das Pergamentröllchen
gekritzelt worden waren, entziffert hatte. »Zu Deutsch Hochmut. Alle Achtung! Derjenige,
der dies zu Papier gebracht hat, muss ein profunder Menschenkenner sein.«
»Ich warne dich, Quacksalber!«, zischte Tuchscherer,
die Hand nur wenige Zoll vom Hals seines Widersachers entfernt, an dem ein kostbares
Silberamulett hing. »Wenn du glaubst, mich fertigmachen zu können, bist du auf dem
Holzweg.«
»Falls Ihr auf den Epigraph [50] an Eurer Haustür anspielt, müsst Ihr Euch einen anderen
Sündenbock suchen. Tja, Tuchscherer, wie Ihr es mit der Treue haltet, hat sich inzwischen
herumgesprochen. Wobei ich gestehen muss, dass mir die Bezeichnung ›Cupiditas‹ in
Zusammenhang mit Eurem Lebenswandel wie eine harmlose Untertreibung vorkommt. Von
der Frage, wer für den Tod von Egberta verantwortlich ist, nicht zu reden.«
»Ihre Amme, wer sonst?«
»Was Ihr nicht sagt!«, höhnte der Tuchhändler,
pickte seinem Schwager das Pergamentröllchen aus der Hand und stopfte es in Tuchscherers
Brusttasche. »Und woher wollt Ihr das so genau wissen?«
»Noch ein Wort, Scharlatan, und du kriegst eine
Abreibung verpasst, dass du dir deine Heilkräuter von unten anglotzen kannst.«
Sichtlich zufrieden, lachte der Tuchhändler
auf und warf dem Bürgermeister einen vielsagenden Seitenblick zu. »An Eurer Stelle,
Gattenmörder, würde ich den Mund nicht so voll nehmen. Sonst geht es Euch an den
Kragen, und zwar schneller, als Ihr denkt.« Scheinbar die Ruhe in Person, entfernte
Bermetter eine Staubfaser von seinem Wams und ließ sie mit angewiderter Miene fallen.
»Erlaubt mir daher, Euch einen Rat zu erteilen. Unter nahen Verwandten sozusagen.
Ihr tut gut daran, Schwager, Euch nach einem Doktor der Jurisprudenz umzusehen.«
Ohne die Anwesenden eines Blickes zu würdigen, überließ der Tuchhändler seinen Kontrahenten
sich selbst, gab ein amüsiertes Schnauben von sich und schlenderte zur Tür. Die
Hand auf der Klinke, drehte er sich noch einmal um. »Gott befohlen!«, raunte er
Tuchscherer zu. »Wenn ich ehrlich bin, möchte ich nicht in Eurer Haut stecken.«
10
Stadthaus der Familie Wernitzer, Ende der zweiten Nachtstunde │ [19.00 h]
»Eine Frage noch!«, rief
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