Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
sich nicht davon abhalten lassen, Violante, eine blutjunge
Bademagd, zur Frau zu nehmen. Es war der größte Fehler seines Lebens gewesen, und
ihm war, als sei dies nicht erst sieben, sondern bereits 70 Jahre her.
Bartholomäus Aschenbrenner, ein nach allgemeiner
Überzeugung rechtschaffener und, wichtiger noch, gottesfürchtiger Mann, tauchte
die Feder in das Tintenfass, welches auf der Ablage seines Stehpultes stand, und
setzte die Niederschrift seines Briefes fort. Am liebsten tat er dies bei Kerzenlicht,
spätabends, wenn der Betrieb in seinem Badehaus nachgelassen hatte. Dabei empfand
er stets so etwas wie Stolz, war es doch keineswegs selbstverständlich, dass der
Spross eines Köhlers diese Kunst beherrschte.
Kein Zweifel, er hatte es zu etwas gebracht.
Zwar war er kein vermögender Mann, aber beileibe nicht so arm wie die meisten Bürger
der Stadt. 12 Pfund Heller Steuern waren gewiss kein Pappenstiel, umso mehr, da
die Hälfte der Steuerpflichtigen lediglich zwischen einem und zehn Hellern berappen
musste. Zugegeben, mit den Alteingesessenen droben in der Herrngasse konnte er nicht
mithalten, waren diese doch allemal für das Doppelte gut. Aber immerhin, tröstete
sich der Badstuber, hatte ihm sein Gewerbe einen bescheidenen Wohlstand beschert.
Ein Faktum, von dem die ortsansässigen Bader nur träumen konnten.
Aber wie hieß es doch gleich? ›Geld allein macht
nicht glücklich.‹ Davon konnte er, Bartholomäus Aschenbrenner, wahrhaftig ein Lied
singen. Trotz seiner Einkünfte war es in jüngster Zeit immer mehr bergab gegangen,
und er wusste genau, wieso. Am Ende seines Briefes angelangt, hielt der Badstuber
inne und sah mit geistesabwesender Miene zum Fenster hinaus. An dem, was ihm widerfahren
war, trug er ein beträchtliches Maß an Schuld. Er selbst und niemand anders. Das
war ihm in letzter Zeit immer klarer geworden. Viel zu lange hatte er die Hände
in den Schoß gelegt und zugesehen, wie Violante ihn hintergangen, nach Strich und
Faden betrogen und ihm ein Horn nach dem anderen aufgesetzt hatte. Und viel zu lange
hatte er das sündhafte Treiben seiner Gattin nicht wahrhaben wollen. Tatenlos, kraftlos,
mutlos, ohne ein Wort des Tadels oder einen Finger zu rühren. Einer Frau, die, so
sein niederschmetterndes Fazit, nicht viel besser als eine Hure war. Namentlich
Melusine hatte ihn beschworen, etwas zu unternehmen, Violante und Tuchscherer, ihren
Galan, zur Rede zu stellen und seine Frau kurzerhand vor die Tür zu setzen.
Getan hatte sich freilich nichts, noch nichts.
Bis vor Kurzem, als das Maß endgültig voll gewesen war. Dreister denn je, hatte
sich Violante nicht einmal mehr die Mühe gemacht, ihr Verhältnis mit Tuchscherer
zu verschleiern. Und war samt Liebhaber in ihrer Kammer verschwunden, als warte
sie nur darauf, dass er einen Schlussstrich zog.
Und genau das war vorgestern Abend geschehen.
Das Maß war voll gewesen, zum Bersten voll. Er hatte genug von ihr.
Endgültig.
Damit allein war es freilich nicht getan. Zutiefst
gekränkt, hatte er beschlossen, Rache zu nehmen. Rache für die Demütigungen, welche
ihm zugefügt worden waren, Rache aber auch für die Tatsache, dass sein Leben von
Stund an verpfuscht sein würde. Gab es für das, was Violante ihm zugefügt hatte,
doch nur eine einzige Strafe: den Tod.
Und siehe da, nachdem sein Entschluss feststand,
hatte er sich auf einmal besser gefühlt, so gut wie seit Langem nicht mehr. Von
hier bis zu dem Plan, welchen er sich zurechtgelegt hatte, war es denn auch nicht
mehr weit. Zuerst würde er seinen letzten Willen zu Papier bringen, schließlich
musste alles seine Ordnung haben. Und dann würde er zur Tat schreiten, ungeachtet
der Folgen, welche sie nach sich ziehen würde.
Lange zu warten brauchte der Badstuber nicht.
Heute, zwei Tage nach seinem Racheschwur, war es so weit, die Gelegenheit, seinen
Entschluss in die Tat umzusetzen, günstiger denn je. Gerade eben hatte er seinen
letzten Patienten verarztet und sich seiner Pflicht mit der ihm eigenen Akribie
entledigt. Der bedauerliche Tropf, ein Bäckergeselle und Nachbar von ihm, hatte
wiederholt über Zahnschmerzen geklagt, woraufhin ihm nichts anderes übrig geblieben
war, als das Übel an der Wurzel zu packen und ihm den Zahn, der ihm so viel Ungemach
bereitet hatte, zu ziehen. Wie üblich war dies nicht ohne Zetern und Geschrei abgegangen,
aber daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Und hatte, um Schlimmeres zu verhüten,
seinem Patienten einen Becher Mohnsaft kredenzt.
Weitere Kostenlose Bücher