Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
und
der Rache. Einer Bestrafung, die längst überfällig war.
Sofern er es schaffen würde, über den eigenen
Schatten zu springen.
Erst jetzt dämmerte dem Bader, dass man ihm
zuvorgekommen war. Violante rührte sich nicht von der Stelle, nicht einmal, als
er den Griff seiner Hände verstärkte. An denen konnte es nicht liegen, wusste er
doch selbst am besten, dass sie ordentlich zupacken konnten. Und auch nicht an seiner
Entschlossenheit. So fest er auch zudrückte, es führte zu nichts. Die Metze, welche
einmal seine Frau gewesen war, bewegte sich nicht, rührte sich nicht, wehrte sich
nicht.
Die Metze war bereits tot.
Bartholomäus schluckte und hatte Mühe, das Würgen
in seiner Kehle zu unterdrücken. Dann ließ er von der Toten ab, ein Ausdruck lähmenden
Entsetzens im Gesicht.
Kein Zweifel, die Metze lebte nicht mehr.
Ein Grund zur Freude, oder nicht? Weit entfernt
davon, die Frage zu verneinen, konnte sich der Bader dennoch nicht von ihrem Anblick
lösen. Da war etwas, das ihn davon abhielt, die Flucht zu ergreifen, das ihn zu
ihr hinzog, das ihn zwang, der Toten ins Gesicht zu schauen.
Es war ihr Lächeln, höhnisch wie eh und je.
Ein Lächeln, das nicht einmal der Tod, Beherrscher der Welten, hatte auslöschen
können.
14
Postskriptum (II)
» Du, Mutter?«, keuchte sie, als ihr Blick auf die Gestalt unter dem
Türsturz fiel. »Was … was willst du denn hier?« Dann sank sie zurück auf ihr Kissen,
den Blick auf den Baldachin aus rotem Damast geheftet, der das Bettgestell überspannte.
Ihre Mutter, das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Ausgerechnet jetzt, da sie von den Fehlern der Vergangenheit eingeholt wurde.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Letztes Jahr,
als ihre Welt noch in Ordnung zu sein schien. Da hatte sich nämlich herausgestellt,
dass sie ein Kind unterm Herzen trug, bald nach ihrer Hochzeit, die an Trinitatis [61] mit großem Gepränge
gefeiert worden war. Vater war außer sich gewesen vor Freude, und sie natürlich
auch. Niemand, nicht einmal Mutter, hatte damit gerechnet. Dass sie in ihrem Alter
noch unter die Haube gekommen war, hatte für großes Aufsehen und für noch mehr Hohn
und Spott gesorgt, nicht ohne Grund, wie sie sich insgeheim eingestehen musste.
Für die Klatschweiber und Verleumder, die sich
buchstäblich die Mäuler über sie zerrissen hatten, war der Altersunterschied zwischen
ihr und Laurenz natürlich ein gefundenes Fressen gewesen. Damit hatte sie selbstverständlich
gerechnet, auch damit, dass er bezichtigt wurde, nur auf ihre Mitgift aus zu sein.
Dass er im Ruf stand, hinter jedem Rock herzujagen, hatte ebenfalls für reichlich
Gesprächsstoff gesorgt. Davon hatte sie sich jedoch nicht abbringen lassen, was
im Übrigen auch für die Vorwürfe galt, mit denen ihre Mutter sie geradezu überschüttete.
Eher wäre sie durchs Fegefeuer gegangen, als dass sie klein beigegeben und auf die
Heirat verzichtet hätte. Das hatte sie ihr immer wieder gesagt, so lange, bis Mutter
ihren Widerstand aufgegeben und von da an nur noch das Nötigste mit ihr gesprochen
hatte.
Bis heute hatte sich daran nichts geändert,
nicht einmal, als feststand, dass sie guter Hoffnung war. Das war am Tage der Geburt
Mariens [62] gewesen, ein Tag,
den sie so schnell nicht vergessen würde. Wenn schon nicht die Mutter, so hatte
sich wenigstens ihr Vater darüber gefreut, und das war für sie das Wichtigste. Welch
ein Unglück, dass er zwei Tage vor Martini [63] , ihrem Geburtstag, gänzlich unerwartet zu Gott berufen
worden war, sonst wäre Manches, was ihr seitdem widerfahren war, vermutlich nicht
passiert.
Passiert war indessen sehr viel, weit mehr als
sie verkraften konnte. Abgesehen von Vaters Tod, der eine große Lücke hinterlassen
hatte, war das Verhältnis zu ihrer Mutter von Tag zu Tag schlechter geworden. Chlotilde
Wernitzer war nun einmal eine Frau, die keine anderen Götter neben sich duldete,
vor allem nicht, wenn sie Laurenz Tuchscherer und Egberta hießen. Zank und Hader
waren an der Tagesordnung gewesen, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass ihre Schwangerschaft
alles andere als einfach verlief. Es hatte Momente gegeben, in denen sie sich gefragt
hatte, ob den beiden noch etwas an ihr lag, so sehr waren die Streitereien zum täglich
Brot im Hause Tuchscherer geworden. Wenigstens hatte sich Heinrich, ihr Stiefbruder,
aus allem herausgehalten, ihr Ratschläge erteilt und immer wieder Mut zugesprochen.
Sonst wäre es vermutlich zum Äußersten gekommen, zumal sie
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