Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
wusste, wie jähzornig
Laurenz war.
Und so war der Winter gekommen, im wortwörtlichen
wie auch übertragenen Sinn. Während sie das Bett hütete, war ihr Mann weiter seinen
Geschäften nachgegangen, bald nicht nur tagsüber, sondern immer häufiger auch nachts.
Um welche Art von Geschäften es sich handelte, hatte sie nicht in Erfahrung bringen
können, und wenn sie ehrlich war, wollte sie es auch gar nicht so genau wissen.
Laurenz konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihm hinterherspionierte,
und sie, Egberta, hatte alle Hände voll zu tun gehabt, um sich über Wasser zu halten.
Wie nicht anders zu erwarten, hatte ihre Mutter keinen Finger gerührt, obwohl ihre
Tochter, deren Schicksal ihr angeblich so sehr am Herzen lag, die meiste Zeit über
das Bett hüten musste.
Kaum fähig zu atmen, stahl sich ein zärtliches
Lächeln auf Egbertas Gesicht. An sich war das nicht weiter tragisch, denn es gab
jemanden, auf den sie sich hundertprozentig verlassen konnte.
»Beruhige dich, mein Kind, du weißt doch, dass
du dich nicht aufregen sollst!« Dieser Jemand eilte ihr jetzt zu Hilfe, wie immer
genau dann, wenn sie auf ihn angewiesen war. »Nur noch ein paar Atemzüge, und dann
ist es geschafft.«
Egberta biss die Zähne zusammen und nickte.
Irmtrud wusste, wovon sie sprach, allein schon aufgrund ihrer Erfahrung. Man musste
schon weit laufen, um eine Hebamme wie sie zu finden. Davon war nicht nur sie, sondern
nahezu jede Frau in der Stadt überzeugt.
»Ich denke, es ist Zeit, dich auf den Stuhl
zu setzen, mein Kind.« Egberta schüttelte unwillig den Kopf. Wie oft sie im Laufe
der Nacht aufgestanden, sich auf den Gebärstuhl gesetzt und danach wieder hinüber
ins Bett geschleppt hatte, konnte sie beim besten Willen nicht sagen. Irmtrud hatte
darauf bestanden, und so war ihr nichts anderes übrig geblieben. »Je öfter, desto
besser!«, versicherte sie, wenn nicht zum ersten, so doch hoffentlich zum letzten
Mal. »Alles wird gut, wirst schon sehen.«
Zu schwach, um Widerworte zu geben, schloss
Egberta die Augen und nickte mit dem Kopf. Kaum war dies geschehen, spürte sie,
wie sich der Arm der alten Amme unter ihre Achsel schob, um sie so sanft wie möglich
in die Höhe zu stemmen. Den Rest besorgte Katharina, ihre Dienstmagd, die ihr half,
aus dem Bett zu klettern.
Damit war es freilich nicht getan. Den Blick
auf ihre Mutter gerichtet, welche ihr Martyrium mit angespannter Miene verfolgte,
wurde Egberta von Krämpfen geschüttelt, einer nach dem anderen, ohne Unterlass.
Ihr Nachthemd fühlte sich wie ein ausgewrungener Lappen an, und ihr Atem, sofern
er denn funktionierte, verströmte den Geruch von Blut. Um sich abzulenken, konzentrierte
sie sich auf ihr Kind, doch so oft sie dies auch versuchte, es gelang ihr nicht.
»Wasser, Wasser!« Plötzlich fiel ihr ein, dass
sie erst im siebten Monat war, was die Panik, in die sie sich hineinsteigerte, in
nie gekannte Höhen schnellen ließ. Egberta rang verzweifelt nach Luft. Es stand
nicht gut um sie, kein Zweifel. Schwellungen an Bauch und Beinen, Ströme von Schweiß,
Ausschlag auf den Armen, Letztere doppelt so dick wie sonst. Und dazu noch ihr schwaches
Herz, die stickige Luft, ihre schwindende Kraft.
Die Wöchnerin bäumte sich auf. Ein Kampf auf
Leben und Tod hatte begonnen. Ein Ringen, das ihr alles abverlangen würde.
Viertes Kapitel
Avaritia [64]
15
Frauenwirtin am Rödertor, drei Stunden nach Sonnenuntergang │ [20.23 h]
»10 Gulden [65] , du Versager? Wohl verrückt geworden, was?«
»Im Gegenteil!«, widersprach der untersetzte,
höchstens fünf Fuß große und knapp 23 Jahre alte Galgenvogel und tat so, als werde
ihm bitter Unrecht getan. »Zehn Gulden, und keinen Pfennig weniger.«
»Und für was, wenn man fragen darf?« Außer sich
vor Wut, packte Laurenz Tuchscherer den stadtbekannten Tagedieb beim Kragen und
schleuderte ihn an die nächstbeste Wand. »Kannst du mir das verraten?«
»Nicht gar so hitzig, junger Herr!«, bellte
der schiefmäulige Streuner zurück, welcher bereits mehrfach mit dem Verlies Bekanntschaft
gemacht hatte, entwand sich Tuchscherers Griff und zupfte sein zerfleddertes Wams
zurecht. »Sonst steht dir gewaltiger Ärger ins Haus.«
»Wenn hier jemand Ärger kriegt, dann du.«
»An deiner Stelle wäre ich mir da nicht so sicher.«
Ohne Scheu und mit einer gehörigen Portion Häme im Ton verzog der feiste Halunke
das Gesicht und fuhr durch seine fettigen Strähnen. Es war ein Gesicht, das man
so schnell
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