Engel der Schuld Roman
und Paul trat ins Zimmer, besorgt und zögernd. Hannah verkniff sich die Fragen, die sie ihm an den Kopf werfen wollte. Wo war er gewesen? Warum war er nicht für Josh dagewesen? Typisch für ihn, daß sie mit den schlimmsten Momenten allein fertig werden mußte und er erst erschien, wenn alles vorbei war. Und welch trauriger Kommentar zu ihrer Beziehung, daß in diesem Augenblick, der so glücklich für sie beide sein sollte, ihr erster Gedanke war, ihn anzugreifen.
Er stürzte insZimmer, den Blick starrauf ihren Sohn gerichtet.
»O Gott«, flüsterte er und kämpfte sichtlich mit einem Gewirr von Emotionen – Ungläubigkeit, Freude, Unsicherheit. »Josh.«
Josh setzte sich auf und sah ihn ohne die Spur eines Lächelns an. »Ich habe versucht, dich anzurufen«, sagte Hannah. »Ich hab's in deinem Büro versucht . . .«
»Ich war unterwegs«, sagte Paul schroff, ohne seinen Sohn aus den Augen zu lassen. Er rang sich ein Lächeln ab und streckte langsam die Hand aus. »Josh, Junge . . .«
Josh schleuderte ihm die Fernbedienung für das Bett an den Kopf und warf sich auf Hannah.
»Josh!« rief Hannah. Aber sie meinte Paul.
»Josh, ich bin's, Dad«, sagte Paul und runzelte verwirrt die Stirn.
Er setzte sich auf die Bettkante und streckte noch einmal die Hand nach der Schulter seines Sohnes aus. Josh schlug die Hand beiseite und strampelte, als wolle er weglaufen.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Paul. »Josh, was ist los? Kennst du mich denn nicht?«
Die einzige Antwort war ein verängstigtes Quieken, als Paul noch einmal versuchte, ihn zu sich zu drehen. Der Junge drängte sich ungestüm an Hannah.
»Paul, versuch nicht, ihn anzufassen!« fuhr sie ihn an. »Siehst du denn nicht, daß du alles noch schlimmer machst?«
»Aber ich habe doch gar nichts getan!« Paul trat trotzdem vom Bett zurück. »Er ist mein Sohn, um Himmels willen! Ich will ihn sehen!«
»Nein!« Joshs Schrei wurde vom Körper seiner Mutter gedämpft. »Nein! Nein! Nein!«
»Still, mein Schatz«, murmelte Hannah in seine Haare. Panik erfaßte sie.
»Was geht hier vor?« fragte Dr. Ulrich, der gerade zur Tür hereinkam.
»Das wüßte ich auch gern«, murmelte Paul.
»Was haben Sie getan, um ihn so aufzuregen?«
»Nichts! Er ist mein Sohn.«
Ulrich hob beschwichtigend die Hand. »Beruhigen Sie sich erst einmal. Ich mache Ihnen keinerlei Vorwurf«, sagte er leise, drehte Hannah und Josh den Rücken zu und stellte sich zwischen sie und Paul. »Aber ich glaube, es wäre besser, wenn Sie jetzt gehen und morgen früh wiederkommen, wenn Josh Zeit gehabt hat, sich auszuruhen und seine Orientierung wiederzufinden.«
»Sie werfen mich raus?« brüllte Paul fassungslos. »Das glaube ich einfach nicht! Nach allem, was ich getan habe, um meinen Sohn zurückzuholen? Nach allem, was ich durchgemacht habe . . .«
»Hier geht es nicht um Sie«, sagte Ulrich mit leiser Stimme. »Sicher ist das alles sehr aufregend für Sie, aber Sie wissen, daß wir zuerst an Josh denken müssen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es einige Zeit dauern wird, bis wir wissen, was mit ihm passiert ist und was er jetzt empfindet. Lassen Sie uns beide doch in die Cafeteria gehen und alles in Ruhe besprechen.«
Paul wußte sehr wohl, daß dies eine Abfuhr war. Ulrich drängte ihn langsam zur Tür, weg von Josh und Hannah. Schloß ihn aus. War das nicht die Geschichte seines Lebens? Hannah bekam alles – den Triumph, das Mitleid . . . ihren Sohn.
»Verdammt, Hannah«, sagte er, »du könntest mir ein bißchen helfen.«
»Was, bitte, soll ich denn tun?« Sie sah ihn an wie einen Fremden, wie jemanden, vor dem man auf der Hut sein, den man in Schach halten muß. Zorn loderte in ihm auf.
»Ein bißchen Unterstützung wäre nett!«
»Nein! Nein!« murmelte Josh und trat gegen die Decken.
Dr. Ulrich machte noch einen Schritt. »Kommen Sie, Paul. Warum gehen Sie nicht in die Cafeteria und trinken eine Tasse Kaffee? Ich komme in ein paar Minuten nach und berichte Ihnen von der Untersuchung.«
»Er hat keinen Grund, sich vor mir zu fürchten!«
»Paul, um Gottes willen, bitte «, flehte Hannah.
»Gut«, murmelte er. »Was für ein verdammtes Wiedersehen.«
Tom McCoy beobachtete am Ende des Korridors, wie Paul Kirkwood in das Krankenzimmer seines Sohnes und wieder heraus stürmte. Seine Ausbildung verlangte, daß er eingriff und versuchte, die Wogen zwischen den Familienmitgliedern zu glätten. Seine Ausbildung war nichts mehr wert. Nicht hier. Nicht zwischen
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