Engel der Schuld Roman
Hannah und Paul.
Er hatte es versucht. Paul war über seine Bemühungen verärgert, er betrachtete sie als Einmischung, nicht als Hilfe. Deshalb waren Tom McCoys Gefühle ihm gegenüber nicht gerade christlich. Er hatte Schwierigkeiten, Verständnis für einen Mann aufzubringen, der ein Juwel geheiratet hatte und es wie Dreck behandelte. Paul Kirkwood hatte soviel und sah es einfach nicht – zwei schöne Kinder, ein gemütliches Heim, einen krisensicheren Beruf. Hannah.
Und da lag der Kern des Problems. Hannah.
Tom war dankbar für die Schatten im Gang. Er lehnte sich gegen die Wand und starrte nach oben, als wollte er den Himmel sehen. Er konnte ihn nicht sehen, natürlich nicht. Da war zuviel im Weg – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Hannah hatte sich an ihn gewandt, an die einzige Person, der sie absolut vertrauen zu können glaubte – an ihren Priester. Und ihr Priester hatte eine Todsünde begangen. Er konnte einfach nicht zugeben, daß das, was er getan hatte, falsch war. Er hatte kein Gelübde gebrochen. Er hatte geschwiegen. Tief in seinem Herzen verschlossen war die Tatsache, daß er sich in Hannah Garrison verliebt hatte.
»Ich könnte da ein bißchen Hilfe brauchen, Herr«, murmelte er. Aber als er nach oben sah, war da nur ein schwacher brauner Fleck an der Decke, den ein Wasserrohrbruch hinterlassen hatte.
Er seufzte erschöpft, ging den Korridor hinunter zu Joshs Zimmer und schob die Tür ein paar Zentimeter auf. Eine Lampe hinter dem Bett tauchte den Raum in sanftes Topas. Josh lag zusammengerollt auf der Seite, mit dem Daumen im Mund, und schlief. Hannah lag neben ihm, sein kleiner Körper war an ihren geschmiegt, und sie hatte den Arm um ihn gelegt. Sie sah aus wie ein Engel, der zur Erde gestürzt war, zarte blonde Löckchen hatten sich aus ihrem Band gelöst und fielen über ihre Wange.
Das Bild brachte ihm bittersüßen Schmerz. Er wollte sich gerade abwenden, als Hannah die Augen aufschlug und ihn direkt ansah. Und er konnte nicht einfach weggehen, so wenig, wie er sein Herz daran hindern konnte zu schlagen.
»Ich wollte nur nach euch beiden schauen, bevor ich gehe«, flüsterte er und trat ins Zimmer. »Sieht aus, als ob es Josh umgehauen hätte.«
»Das Wunder moderner Betäubungsmittel«, murmelte Hannah und stützte sich auf einen Ellbogen.
»Wie geht es dir?«
»Ich habe Josh wieder. Alles andere ist egal.«
»Paul ist nicht geblieben.«
Sie setzte sich vorsichtig auf, um Josh nicht zu stören, und zog ihre Beine unter sich. »Josh wollte ihn nicht hier haben. Er hat getan, als . . . als hätte er Angst.«
Die Worte hatten den bitteren Geschmack von etwas Unrechtem, als würde sie Paul verraten, indem sie sie aussprach, obwohl sie die Wahrheit sagte.
»Gott, wie ich Garrett Wright für das hasse, was er uns angetan hat«, gab sie zu. »Er hat viel mehr getan, als uns unser Kind wegzunehmen. Was immer für Probleme Paul und ich früher hatten, wenigstens haben wir einander vertraut. Als Josh heute abend so auf ihn reagierte, habe ich Paul angesehen wie nie zuvor, so, als würde ich tatsächlich glauben, er könnte . . . Ich tu's nicht«, flüsterte sie, obwohl die Zweifel in ihrem Kopf rumorten – die Lügen wegen des Lieferwagens, sein häufiges Verschwinden, sein Anrufbeantworter im Büro, der eingeschaltet war, wenn er eigentlich dort sein sollte.
Pater Tom saß auf der Bettkante und streckte ihr jetzt die Hand entgegen. Sie packte sie, klammerte sich fester daran, als sie eigentlich wollte, und wünschte sich von ganzem Herzen, er würde die Arme um sie legen und sie einfach eine Weile festhalten. Die Sehnsucht, die in ihrem Herzen aufwallte, war eine Sehnsucht nach Trost und Freundschaft und Mitleid. Dinge, die Tom McCoy ihr aus freien Stücken geben würde, ohne Hintergedanken. Er würde nie vermuten, daß ihre Gefühle tiefer geworden waren; sie würde es ihm nie erzählen. Sie würde nicht riskieren, das zu verlieren, was sie jetzt hatten, indem sie mehr verlangte, als er ihr geben konnte.
»Lade dir nicht noch mehr Schuldgefühle auf, Hannah«, sagte er leise.
Ihr Kopf schnellte hoch, und sie sah ihn an. Ihr Puls beschleunigte sich bei dem absurden Gedanken, daß er ihre Gedanken gelesen hatte. »Eine solche Reaktion kann man nicht kontrollieren. Wer weiß warum Josh so böse auf seinen Vater reagiert hat? Er ist verängstigt und verwirrt. Wir wissen nicht, was er durch gemacht hat. Wir wissen nicht, was Wright ihm möglicherweise in den Kopf gesetzt
Weitere Kostenlose Bücher