Engel der Verdammten (German Edition)
Zum ersten Mal sah Sabine das Kind strahlen. Es sprang auf und lief durch das Zimmer. Seine Arme schlangen sich um Duyens Hüfte. Sein Gesicht presste sich in ihren Rock.
» Me « , schluchzte das Mädchen immer wieder und stieß einige Worte aus, die Sabine nicht verstand. Duyen sank in die Knie und zog ihre Tochter in die Arme. »Meine kleine Orchidee!« Sie wiegte sie zärtlich und flüsterte ihr liebende Worte ins Ohr.
Dann sah Duyen mit Tränen in den Augen zu Sabine und der Ärztin auf.
»Lan sagt, dass sie nie wieder von Mama weggehen will.«
Sabine kniete sich zu den beiden auf den Boden. »Das muss sie auch nicht! Sagen Sie Lan, dass nun alles gut ist. Sie beide bleiben zusammen, und ich verspreche Ihnen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, damit Sie beide ein gutes Zuhause bekommen.«
So schlecht standen ihre Chancen nicht, denn Duyen hatte sich bereit erklärt, der Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stehen. Und da die Christen in Vietnam eine Minderheit waren, die immer wieder Repressalien und Verfolgungen ausgesetzt waren, stand es auch um ihren Asylantrag nicht schlecht.
Duyen erhob sich, legte die Handflächen zusammen und verbeugte sich vor der Kommissarin.
»Dann möge Gott Ihnen helfen. Sie sind ein guter Mensch, und wir haben Ihnen viel zu danken. Möge Gott Sie segnen und auch Ihnen einen Engel schicken, wenn Sie ihn am nötigsten brauchen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Sabine bewegt. Vielleicht war es ihr in diesem Fall gelungen, immerhin zwei Menschen zu retten und in eine glücklichere Zukunft zu führen.
Epilog
Engel der Verdammten
Sie stand an Alettas Grab, so wie einige Monate zuvor, einen Strauß Blumen in der Hand, während die Sonne irgendwo im Westen hinter dem Horizont verschwand. Obwohl der Wind auffrischte und ihr kalt war, rührte sie sich nicht. Sie sah nur auf das Grab hinab und lauschte ihren wirren Gefühlen.
Es war zu Ende. Endgültig.
Doch war es ein gutes Ende?
Es war so viel geschehen in den wenigen Tagen, seit sie ins Präsidium zurückgekehrt war. So wenige Tage, und dennoch kam es ihr vor, als habe sich die Welt in dieser kurzen Zeit verändert. Ihre Welt.
Sie hatte schon viele Fälle bearbeitet, und obwohl der Job sie abhärtete, gingen die scheußlichen Verbrechen, die die Menschen sich gegenseitig antaten, nicht spurlos an ihr vorüber. Mal schockierte sie die Grausamkeit der Tat an sich, mal die Gemeinheit und Skrupellosigkeit, mit der die Täter vorgingen. Die menschenverachtende Gleichgültigkeit, mit der sie sich nahmen, was ihnen nicht zustand.
Doch dieser Fall war anders. Er betraf sie persönlich. Sie war ein Teil des Geflechts aus Rache, Schuld, Verlangen und Vergeltung geworden, und sie fragte sich, wie groß ihr Teil der Schuld war.
War der Weg des Schicksals unerbittlich vorgezeichnet oder hätte irgendjemand in die Speichen greifen und das Rad aufhalten, ihm zumindest eine andere Richtung geben können?
Sie wusste es nicht.
Nun war Aletta tot. Wirklich und endgültig tot und vernichtet. Sabine fühlte sich schuldig. Warum? Weil Aletta wegen ihr gemordet hatte? Weil Peter – wegen ihr – nicht mit Aletta zusammen sein wollte?
Unsinn. Der Vampir traf seine eigenen Entscheidungen. Er hatte sich von seiner Schöpfung abgewandt.
Durfte er so einfach über Leben und Tod entscheiden? Ein Geschöpf der Nacht erschaffen und es wieder vernichten, wenn es ihm passte? Das konnte nicht richtig sein. Auch er hatte sich schuldig gemacht. Zweimal hatte er sich an Aletta versündigt: Als er sie schuf und als er sie vernichtete.
Oder waren die Weichen zu diesen tragischen Ereignissen schon früher gestellt worden? Hatte sie die falsche Richtung eingeschlagen, als sie den Fall der missbrauchten Freundinnen zu spät aufgeklärt hatte? Weil sie nicht verhindert hatte, dass Aletta die Schuld auf sich nahm, um ihre Freundinnen zu schützen und ihnen ein neues Leben zu ermöglichen?
Sabine hatte Aletta genug Zeit gegeben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Als Kommissarin hatte sie damit eindeutig versagt. Sie hätte Aletta, Carmen und Meike sofort verhaften, sie für die Morde an ihren Peinigern zur Rechenschaft ziehen müssen.
Dann säßen sie jetzt im Gefängnis und nicht nur Aletta, sondern auch Ileana, Yulia, Fjodora und Anelia wären noch am Leben.
Allerdings wären sie auch immer noch Sklaven, genau wie die anderen Frauen, die Tariq mit seinen Helfern nach Hamburg geschleust und zur Prostitution gezwungen hatte.
Stattdessen
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