Engel der Verdammten (German Edition)
einen schmutzigen Straßenstrich«, verteidigte Sabine ihren Wohnort. »St. Georg hat auch seine schönen Seiten. Es leben viele Künstler hier.«
»Und Schwule«, ergänzte Felix Leonhard.
»Ja, auch Schwule, gegen die ich rein gar nichts einzuwenden habe«, gab die Kommissarin scharf zurück. »Mein Lieblingscafé ist das Gnosa! Nirgendwo sonst wird man so freundlich behandelt.«
Felix Leonhard lachte und hob entschuldigend die Hände. »Das wollte ich damit gar nicht sagen. Ich versichere Ihnen, dass auch ich rein gar nichts gegen Schwule und Lesben habe. Ich habe nur etwas gegen Leute, die Unschuldige ausbeuten oder sich in einem Akt sexueller Gewalt ihre Körper aneignen!«
»Womit wir wieder beim Thema wären«, murmelte Sabine.
Der Journalist nickte ernst. »Ja, so ist es. Nennen Sie mich besessen. Vielleicht bin ich es. Es ist für mich zu einer Lebensaufgabe geworden, dieses Buch zu schreiben.«
Er grinste ein wenig schief, während sie nebeneinander in die Lange Reihe einbogen. Einige Schritte schwiegen sie, dann sagte er: »Aber ich bin nicht nur besessen, sondern auch hungrig. Wenn Sie hier in der Nähe wohnen, können Sie mir doch sicher einen Tipp geben, wo ich hier gut essen kann, ehe ich mich wieder in finstere Abgründe stürze.«
»Im Casa di Roma, dort vorn«, antwortete die Kommissarin spontan. »Das ist mein Lieblingsitaliener. Da können Sie nichts falsch machen.«
»Danke, und haben Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten? Ich würde Sie gern einladen, und wenn Sie mögen, erzähle ich Ihnen ein wenig von meinen Recherchen.«
Sabine zögerte. Hatte sie Lust, mit diesem Journalisten essen zu gehen? Daheim erwarteten sie nur eine leere Wohnung und ein spärlich bestückter Kühlschrank. Er versuchte nicht, sie über eine laufende Ermittlung auszuquetschen. Außerdem war er ihr sympathisch. Warum also nicht?
»Ja«, sagte sie, und seine angespannte Miene löste sich in ein Lächeln auf.
»Fein!«, gab er zurück und hielt ihr die Tür auf.
Der Besitzer des Restaurants kam ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Sabine, wie schön, Sie zu sehen. Buonasera , und wer ist Ihr Begleiter?«
»Felix Leonhard«, stellte sie ihn vor. » Buonasera , Paolo, wir nehmen den Ecktisch.«
» Con piacere !« Beflissen eilte Paolo voran, zündete die Kerze auf dem Tisch an und rückte die Stoffservietten zurecht.
» Un aperitivo ?«
Sabine lächelte. »Paolo, das hier ist kein Date! Wir sind geschäftlich hier.«
Der Wirt winkte ab. »Geschäftlich oder nicht, kann ein Glas Prosecco schaden? Es ist Freitag, fine settimana !«
Sabine gab nach, und so tranken sie zusammen Prosecco und bestellten sich zwei von Paolos Pastakreationen.
»Sie sind also auf der Spur moderner Sklavenhalter«, begann die Kommissarin.
Felix Leonhard nickte. »Ja, aber ich höre an Ihrem Ton, dass Sie das Wort Sklavenhalter in Anführungszeichen setzen. Das müssen Sie nicht. In vielen Ländern der Erde wird nicht einmal der Versuch unternommen, Sklaverei zu verstecken, da die Behörden sie mehr oder weniger offiziell dulden.«
»Sklaverei ist international verboten!«, widersprach Sabine.
»Oh ja, nicht nur Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbietet Sklaverei. Sie ist – anders als zum Beispiel Menschenhandel – als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft, was aber nicht heißt, dass sie nicht dennoch vielerorts existiert, mal ganz offen, mal mehr im Verborgenen. Auch in Europa, vor Ihren Augen ganz in der Nähe.«
Sabine wand sich. »Ich glaube Ihnen ja, dass es das gibt.«
»Aber? Sie meinen, das passiert nur vereinzelt irgendwo weit weg in ein paar archaischen Gesellschaften, die sich in Bürgerkriegen aufreiben? Ich muss Sie enttäuschen. Nach seriösen Schätzungen gibt es heutzutage weltweit siebenundzwanzig Millionen Sklaven!«
Sabine schwieg verblüfft und überlegte, wie ernst diese Zahlen zu nehmen waren. Es waren nur Schätzungen, ganz klar. Man konnte nicht zu irgendwelchen Plantagenbesitzern gehen und notieren, wie viele Sklaven er besaß.
»Wie definieren Sie Sklaven?«, fragte sie stattdessen.
»Menschen, die unter Androhung von Gewalt und ohne Bezahlung zur Arbeit gezwungen werden«, antwortete der Journalist beinahe sanft. »Sie sind häufig Opfer von Menschenhändlern. Sie werden geraubt, verschleppt, verkauft, misshandelt, bis ihr Wille gebrochen ist und sie sich in ihr Schicksal fügen. Frauen, Männer, Kinder. Viele Kinder – vor allem in Südostasien oder in
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