Engel der Verdammten (German Edition)
Stunden die Organe an ihren Platz zurückgelegt und den langen y-förmigen Schnitt wieder zugenäht hatte, wandte sie sich zu der Kommissarin um, die noch immer jeden Schritt der Rechtsmedizinerin beobachtete.
»Was denken Sie?«, erkundigte sich Sabine, obwohl es längst klar war. »Haben wir es in beiden Fällen mit einem Täter zu tun?«
»Ich würde sagen: Ja. Der Täter hat mit großer Kraft und Entschlossenheit ein scharfes Messer mit glatter Schneide eingesetzt. In beiden Fällen gab es nur einen einzigen Schnitt, der alles bis zu den Wirbeln durchtrennte und eine Riefe im Knochen hinterlassen hat.«
»Dann müssen wir die Leiche so schnell wie möglich identifizieren und eine Verbindung zu Ileana herstellen, von der wir leider auch erst herzlich wenig wissen.«
Die Pathologin nickte, zog das weiße Tuch wieder über die Tote und rollte sie in den Vorraum, wo sie neben all den anderen Leichen in einem der Kühlfächer verstaut wurde. Sabine folgte Dr. Lichtenberg. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe.
»Sie sagten vorhin, dass die Tote – anders als Ileana – kurz vor ihrer Ermordung keinen Geschlechtsverkehr hatte. Wie sieht es mit sonstigen Spuren sexueller Gewalt aus?«
»Schwer zu sagen. Sie hatte eine vernarbte Verletzung in der Gebärmutter, die von einer unsachgemäß durchgeführten Abtreibung stammen könnte. Ansonsten hatte sie lediglich ein paar blaue Flecke und eine Schürfwunde am Arm. Sie war ein wenig dünn, ansonsten aber gesund.«
»Glauben Sie, dass sie wie Ileana eine Prostituierte war? Vielleicht auch eine Illegale aus dem Osten?«
»Ob sie illegal hier war, kann ich nicht beurteilen. Von ihren Zügen her könnte sie durchaus aus dem Osten stammen. Vielleicht eine Russin. Dass sie Prostituierte war, halte ich eher für unwahrscheinlich – was nichts mit den körperlichen Befunden zu tun hat. Sehen Sie sich ihre Kleidung an – vor allem ihre Unterwäsche! Billiges, altes Zeug. Ein Kleid, das wie die Kittelschürze meiner Großmutter aussieht. Sie war ungeschminkt, das Haar vermutlich selbst geschnitten. Nein, ich kann sie mir nicht als Prostituierte vorstellen.«
»Weil sie ungepflegt war? Na dann sollten Sie sich mal die Frauen ansehen, die sich auf dem Hansaplatz anbieten! Da schüttelt es einen, und man fragt sich, warum zum Teufel Männer mit solch sichtbar kranken Frauen Sex haben wollen.«
»Das ist was anderes. Diese Frauen sind drogenabhängig. Damit geht eine ganz eigene Verwahrlosung einher. Diese Frau wirkt auf mich, als habe sie körperlich schwer gearbeitet. Allein die Schwielen an ihren Händen, ihr Gesicht, die Haut! Sie sieht älter aus, als sie war.«
Sabine nickte. »Gut, dann war sie keine Prostituierte. Aber wieso hat der Mörder sich diese beiden Frauen ausgesucht?«
Sie verabschiedete sich und fuhr fast ein wenig unzufrieden ins Wochenende. Zwei Tage Pause, ehe sie sich diesen Dr. Reißenberger vorknöpfen konnte. Das schmeckte ihr gar nicht. Konnte sie allein auf Grundlage des Zettels begründen, dass eine Hausdurchsuchung noch am Wochenende stattfinden sollte? Sie musste sich was einfallen lassen!
Die U-Bahn ratterte dahin, während die Kommissarin ihren Gedanken nachhing und Pläne schmiedete. Ihr Blick schweifte ziellos über die anderen Fahrgäste, bis er an einem Mann hängen blieb, der einige Plätze weiter vorn saß und etwas in sein Notebook tippte.
War das nicht wieder dieser Journalist, den sie bereits im Präsidium und in St. Pauli getroffen hatte? Aber ja. Felix Leonhard.
Die Bahn näherte sich dem Hauptbahnhof, und sie strebten auf dieselbe Tür zu.
»Entschuldigung!« Der Journalist wich zurück und ließ der Kommissarin den Vortritt.
»Danke.« Sie wusste nicht recht, ob sie darauf hoffen sollte, dass er sie nicht erkannte.
»Ach, Sie sind das, Frau Berner. Noch immer dienstlich unterwegs?« Er freute sich sichtlich, sie zu sehen. Unwillkürlich musste sie lächeln.
»Nein, auf dem Heimweg, aber Sie arbeiten noch, wie ich sehe?«
Der Journalist nickte. »Ja, vermutlich wird es eine lange Nacht, mal sehen. Es ist so schwierig, die Betroffenen dazu zu bewegen, mit einem zu reden. Selbst wenn sie anonym bleiben.«
Gemeinsam verließen sie den Bahnhof auf der Ostseite und überquerten die Kirchenallee.
»Wo wohnen Sie?«, erkundigte sich der Journalist.
»In St. Georg, und Sie, wie ich vermute, auch.«
Er nickte und schien ein wenig überrascht. »Oh, das hätte ich nicht gedacht«, gab er zu.
»Es gibt hier nicht nur
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