Engel der Verdammten (German Edition)
in der es so etwas wie Hoffnung auf ein gutes Leben und Gerechtigkeit für alle gab? Wie lange war sie schon bei der Kripo?
Verärgert schüttelte sie den Kopf. Nein, diese Verleugnung der Realität passte nicht zu einer Kripobeamtin, und dennoch ängstigte sie die Kälte, die ihre Gedanken in ihr heraufbeschworen. Vielleicht war es gesünder, manchmal nicht zu wissen, was die Schatten der Nacht so gnädig verbargen.
Kapitel 7
Duyen
Es trieb ihn wieder in die Elbchaussee zum Haus der Familie Wolf, in dem das kleine Mädchen gelebt hatte. Peter von Borgo stellte das Motorrad ab und schlüpfte zwischen den Zweigen zweier Büsche in den Garten. Das Haus war hell erleuchtet. Er konnte die Stimme der Hausherrin hören. Lautlos trat der Vampir näher, bis er durch die großen Terrassentüren das Wohnzimmer und einen Teil des Essbereichs überblicken konnte.
»Du wirst die Treppe wischen und wachsen und die Küche putzen. Ich will keinen Fleck mehr sehen, wenn ich zurückkomme. Und dann nimm dir bitte noch den Bügelkorb vor. Hast du verstanden?«
Sie starrte die kleine, dünne Frau an, die mit gesenktem Kopf vor ihr stand. Man hätte sie für ein Kind halten können, wären da nicht die müden Gesichtszüge und die Augen gewesen, die schon viel zu viel gesehen haben mussten. Ihre Haut hatte den gelblich braunen Ton, der den Menschen in Vietnam und den umliegenden Ländern zu eigen ist. Das Haar war schwarz wie ihre traurigen Augen. Sie nickte, ohne den Kopf zu heben.
»Hast du mich verstanden, Duyen?«, wiederholte Frau Wolf eine Spur schärfer.
»Ja, Frau Wolf«, antwortete sie leise, hob aber noch immer nicht den Blick.
»Gut. Herr Wolf und ich werden ausgehen. Die Kinder sitzen noch vor dem Fernseher. In einer halben Stunde machst du ihnen ihr Abendessen und bringst sie dann ins Bett. Falls es klingelt, wirst du nicht öffnen. Wir schließen die Haustür und das Tor ab.«
Das schien Duyen nicht zu überraschen. Wieder nickte sie und ging dann mit gebeugtem Rücken davon.
Der Vampir wartete, bis die Wolfs losgefahren waren, ehe er in das Haus eindrang und sich neugierig umsah. Die Familie war wohlhabend, kein Zweifel, doch als reich würde man sie nicht bezeichnen. Und besonders guten Geschmack besaßen sie auch nicht, dachte der Vampir, der von Zimmer zu Zimmer ging, bis er in eine ärmliche Kammer spähte, die offensichtlich Duyen zugedacht war. Außer einem alten Bett mit einer zerschlissenen Steppdecke, zwei harten, kratzigen Handtüchern und einigen verwaschenen Kleidungsstücken gab es nichts von Interesse. Außer …
Der Vampir glitt ins Zimmer und hob die Bettdecke hoch. Was war das? Er nahm das alte Plüschtier in die Hand. Die Nähte drohten bereits aufzuplatzen, und so recht war nicht zu erkennen, was für ein Tier es darstellen sollte. Vielleicht einen Panda? Behutsam setzte er das Tier zurück. Vielleicht war der Panda das Einzige, was Duyen an ihre Tochter erinnerte. Die Entscheidung, ihr Kind in einem fremden Land nachts einfach auf die Straße zu schicken, war ihr sicher nicht leichtgefallen, doch die Alternative musste ihr schlimmer erschienen sein.
Peter von Borgo war neugierig und beschloss, der Frage nachzugehen. Inzwischen hatte Duyen das Abendessen gerichtet und die Kinder unter Protestgeschrei vom Fernseher weggeholt. Eine Weile war es in der Küche recht turbulent zugegangen, dann hatte sich die Schlacht ins Badezimmer verlegt und von dort in die beiden Kinderzimmer. Nun jedoch war Ruhe eingekehrt und Duyen machte sich wieder an ihre Arbeit.
Peter von Borgo folgte dem Flur und setzte sich auf die oberste Treppenstufe. Eine Weile sah er Duyen zu, die auf den Knien lag und mit einem seltsam riechenden Mittel und einem weichen Lappen Stufe für Stufe bearbeitete, bis das Holz einen warmen, weichen Schimmer erhielt.
Der Vampir räusperte sich. »Guten Abend, Duyen.«
Die Frau stieß einen Schrei aus und ließ den Lappen fallen. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an.
»Wer sind Sie? Woher? Herr und Frau Wolf nicht da«, stieß sie in gebrochenem Deutsch hervor. Sie sprach in einem weichen, typisch asiatischen Singsang.
»Ich heiße Peter«, stellte er sich vor, »und Sie müssen sich nicht fürchten.«
Es waren weniger seine Worte als eher sein hypnotischer Blick, der ihr Zittern verebben ließ.
»Duyen«, wiederholte er und ließ den Namen klingen. »Anmut, was für ein schöner Name.«
Die Frau warf die Lippen auf. Als sie zu ihm aufsah, waren ihre Augen
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