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Engel der Verdammten (German Edition)

Engel der Verdammten (German Edition)

Titel: Engel der Verdammten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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und nickte ihr zu.
    »Es freut mich, Sie zu sehen, Kommissarin Berner«, sagte sie, auch wenn das vielleicht nicht die ganze Wahrheit war.
    »Wie geht es Ihnen?«, erkundigte sich Sabine, als sie der alten Frau die Hand reichte.
    Sie wiegte den Kopf hin und her. »Ach, wie es einem halt in meinem Alter so geht. Man lebt nur noch durch die Jugend um einen herum.«
    Sabine nickte verständnisvoll. »Kümmern sich Maike und Carmen noch um Sie?«
    »Aber ja!«, rief die Alte fast ein wenig trotzig, als habe Sabine etwas anderes behauptet. »Sie sind rührend um mich besorgt und machen sich so prächtig. Alles könnte so schön sein.« Tränen traten ihr in die Augen.
    »Aber ich vermisse meine kleine Iris so sehr«, fügte sie leise hinzu. »Ja, und auch Aletta. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie tot ist. Sie war immer so anders als ihre Freundinnen.« Sie suchte nach Worten. »So präsent. Jeder musste einfach zu ihr hinsehen, wenn sie den Raum betrat.«
    Sabine wusste, was sie meinte. Auch ihr hatte sich Alettas starke Persönlichkeit ins Gedächtnis eingeprägt, und es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht an die junge Frau dachte.
    »Sie war so lebendig«, schloss Frau Jacobson. »Wenn ich an sie denke, dann lebt sie einfach weiter. Es ist schon so schlimm, dass ich neulich dachte, ich hätte sie gesehen. Ich kam am Abend nach Hause, und da lief eine junge Frau ganz in Schwarz gekleidet den Weg entlang. Ihre Haltung, die Art, sich zu bewegen – noch ehe ich darüber nachdachte, hob ich die Hand und rief ihren Namen.«
    Frau Jacobson verstummte. Eine Träne rann über ihre Wange. »Ich habe in diesem Augenblick wirklich gedacht, Aletta würde vor mir stehen.«
    Sabine griff nach der faltigen Hand der alten Frau. »Ich verstehe das. Unser Geist weigert sich oft sehr lange, den Tod eines geliebten Menschen zu akzeptieren. Wie viele Monate bin ich jeden Morgen aufgewacht und dachte, mein Vater würde noch leben, bis es mir dann wieder einfiel. Selbst heute erwische ich mich manches Mal noch bei dem Gedanken, dass ich ihm irgendetwas sagen möchte, weil er wie ich darüber lachen oder auch sich darüber ereifern würde, und dabei ist er nun schon fast vier Jahre tot.«
    Rosa Maschek füllte ihre Teetassen noch einmal voll und setzte sich zu ihnen. »Ja, die Erinnerung kann grausam sein, doch ist es nicht auch ein Trost, dass die Menschen in unserem Gedächtnis lebendig bleiben? Wollten wir uns ihrer wirklich kalt und steif in einem Sarg erinnern? Ich rede und streite noch heute mit meinem Mann, und es ist ein angenehmer Zeitvertreib. Wenn der erste Schmerz einmal nachlässt, dann beginnen wir, jeden Fetzen Erinnerung zu lieben, und bewahren sie sorgsam wie Schätze.«
    »Doch wann wird das sein, Rosa? Wann lässt dieser Schmerz, der einem die Luft zum Atmen nimmt, endlich nach?«
    Diese Frage bewegte auch die Kommissarin im Stillen.
    Frau Maschek legte bekümmert den Arm um die Schultern ihrer Nachbarin. »Ich weiß es nicht, Irene, ich weiß es nicht. Je mehr wir lieben, desto mehr leiden wir auch. Doch ist das nicht das Leben? Was wäre das für ein armseliges Dasein, wenn wir nichts empfinden könnten außer stumpfem Einerlei? Wir hatten schöne Jahre, die uns glücklich machten, und nun sind eben die traurigen dran, die uns quälen. Doch irgendwann, wenn wir die Augen weiterhin offen halten und dem Leben eine Chance geben, dann beschenkt es uns auch wieder mit glücklichen Momenten.«
    Über diese Worte musste Sabine noch lange nachdenken, als sie sich auf den Heimweg machte. Sie beschloss, noch einen Abstecher nach Ohlsdorf zu machen. Wenn schon der Vampir sich ihre Probleme und Sorgen nicht anhören wollte, dann musste sie sie wenigstens ihrem Vater erzählen.
    So kauerte sie im Dunkeln vor seinem Grab, die Hand auf dem kühlen, rauen Stein, und berichtete ihm in Gedanken, was sie bisher herausgefunden hatten und wo sie einfach nicht weiterkamen.
    »Und dass Jens diese Leute vertritt, macht die Sache nicht gerade einfacher!«, fügte sie halblaut hinzu und spürte, wie schon wieder die altvertraute Wut in ihr aufflammte.
    »Warum macht er das? Warum setzt er sich für diese Menschen ein, die dort auf ihrem hohen Ross und ihrem Reichtum sitzen und meinen, Recht und Gesetz wären nur was für den Normalbürger? Vermutlich weiß er Bescheid, doch er setzt alles daran, dass sie ihrer gerechten Strafe entgehen.«
    Sie schwieg und wartete, bis ihr Zorn ein wenig abklang. Tief in ihrem Innern war sie

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