Engel der Verdammten (German Edition)
etwas wie Schuldbewusstsein gesehen? Wusste er etwa davon und schwieg, weil sie seine Mandanten waren? Sabine konnte es nicht fassen.
»Schließen Sie sofort die Tür auf. Ansonsten rufe ich jetzt den Richter an und sage ihm, dass wir den dringenden Verdacht von Freiheitsberaubung haben. Was glauben Sie, wie schnell ich die Genehmigung bekomme, die Tür aufzubrechen?«
Sie fixierte ihren Exmann, doch der schwieg.
»Es ist nicht so, wie Sie denken«, räumte Frau von Ilsenbrick ein und reichte ihr mit zitternder Hand den Schlüssel, den sie aus ihrer Rocktasche zog. »Es war nur zu ihrem eigenen Schutz.«
Sabine schloss die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen. In dem fensterlosen Raum kauerte eine völlig verängstigte Frau auf einem schmalen Bett, das auf dem nackten Betonboden stand. Die Schwellungen in ihrem Gesicht waren zurückgegangen, und die Kruste begann bereits abzublättern, dafür war die Verletzung an ihrer Lippe frisch.
»Dorina, Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Sabine sanft und trat langsam näher, doch die junge Frau wich vor ihr zurück und starrte sie an, als wolle sie sie schlagen.
»Erinnern Sie sich? Ich bin Kommissarin Berner, von der Polizei.«
Die junge Frau stöhnte auf. Diese Worte waren offensichtlich nicht dazu angetan gewesen, sie zu beruhigen.
»Wir tun Ihnen nichts«, versicherte sie noch einmal. »Kommen Sie zu mir. Jetzt sind Sie in Sicherheit!«
Sie legte ihr die Hand auf die Schulter. Dorina zuckte zusammen. Sönke erschien in der Tür. Seine Augen weiteten sich, als sein Blick die Szene erfasste.
»Das darf ja wohl nicht wahr sein!«
Dorina zitterte bei seinem Anblick am ganzen Leib und hob abwehrend die Arme, als würde sie Schläge von ihm erwarten.
»Bitte nicht Gefängnis«, weinte sie. »Nicht nach Hause schicken!«
Sabine spürte, wie sie selbst vor Zorn bebte, doch sie zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln.
»Dorina, nun kommen Sie erst einmal mit, dann können wir uns in aller Ruhe unterhalten. Wenn Sie etwas von Ihren Sachen mitnehmen möchten, dann packen Sie sie jetzt. Ich helfe Ihnen gern.«
Doch Dorina hob nur die Schultern. »Hab nichts«, sagte sie. Dann aber griff sie unter die Matratze und zog einen schmutzigen, verknitterten Umschlag aus braunem Papier hervor.
»Sind das Ihre Ausweispapiere?«, erkundigte sich Sabine.
Dorina senkte den Blick. »Keine Papiere«, sagte sie leise.
Sabine streckte die Hand nach dem Umschlag aus. Dorina reichte ihn ihr ungern, doch sie wagte nicht, sich zu weigern.
Der Umschlag enthielt zwei Fotos. Sie waren verknickt und an den Rändern fleckig. Wie oft, dachte Sabine, musste Dorina sie hervorgezogen und betrachtet haben, um sich zu trösten oder Mut zu machen. Das eine zeigte ein Baby von wenigen Monaten, das andere ein Mädchen von etwa dreizehn, das Dorina ähnlich sah.
»Wer ist das?«, erkundigte sich Sabine freundlich.
»Tochter Valeria«, sagte sie und zeigte auf das Baby. »Kleine Schwester Romina.«
Hektisch streckte sie die Hand nach den Fotos aus, und Sabine gab sie ihr zurück.
»Und wo ist Ihr Pass?«
Dorina hob die Schultern. »Weggenommen«, sagte sie leise. »Schon lange her. Auf der Reise.«
Sabine sah zu Sönke hinüber, der sich wieder in den Flur zurückgezogen hatte, wo die von Ilsenbricks schweigend neben ihrem Anwalt standen.
»Haben Sie Dorinas Pass? Dann verlange ich von Ihnen, dass Sie ihn mir sofort geben!«
Herr von Ilsenbrick sah fragend zu Jens Thorne hinüber.
»Ich kann auch einen Durchsuchungsbeschluss besorgen. Dann stellen unsere Männer eben Ihr ganzes Haus auf den Kopf. Ihre Entscheidung!«, fügte Sönke mit einer Kälte hinzu, die Sabine von ihrem Kollegen gar nicht kannte.
»Ich hole ihn«, sagte Herr von Ilsenbrick heiser und stieg die Kellertreppe hinauf. Sönke folgte ihm.
»Kommen Sie, Dorina, lassen Sie uns gehen«, sagte Sabine sanft.
Die junge Frau erhob sich und schlüpfte in ein Paar ausgetretene Slipper. Mit dem ängstlichen Blick eines gehetzten Rehs trat sie auf die Kommissarin zu. Sabine ließ den Blick über das dünne Hemd und ihre zerschlissenen Hosen wandern.
»Es ist kalt draußen. Haben Sie keinen Pullover? Und eine Jacke oder einen Mantel?«
Dorina schüttelte den Kopf.
»Gehen Sie denn nie raus?«, entfuhr es der Kommissarin entsetzt.
Wieder schüttelte Dorina den Kopf. »Nein, ich nie draußen. Immer nur arbeiten hier im Haus.«
Sabine führte sie in den Flur hinaus und fixierte Gerlinde von Ilsenbrick, die ihren Blick
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