Engel der Verdammten (German Edition)
gehört. Ist nicht ganz unproblematisch, aber möglich ist es schon. Nun, wir werden sehen.« Sie versprach, sich sofort auf den Weg zum Präsidium zu machen, um Dorina nach ihrer ersten Vernehmung in ihre Obhut zu nehmen. Sie würde auch eine Dolmetscherin mitbringen, die das Verständnis auf beiden Seiten erleichtern sollte.
»Gut, dann bis gleich«, verabschiedete sich Sabine und schenkte Dorina, die sie immer noch ängstlich anstarrte, ein aufmunterndes Lächeln.
»Alles wird gut«, versprach sie, doch die Rumänin schüttelte mit düsterer Miene den Kopf.
Kapitel 15
Anelia
Tief in Gedanken machte sich Sabine auf den Heimweg. Es war schon lange dunkel, und ihre Augen brannten. Sie blinzelte. Das Licht der entgegenkommenden Autos blendete sie unangenehm. Sie hatte noch Stunden mit Corinna Huttner, der Dolmetscherin und mit Dorina zusammengesessen, doch noch war die junge Rumänin nicht bereit, über das, was sie erlebt hatte, zu sprechen. Sie traute der Polizei nicht und hatte Angst, irgendjemanden zu verraten.
Kein Wunder, wie ihr Frau Huttner später unter vier Augen berichtete. In Rumänien arbeiteten viele Polizisten mit den Menschenhändlern und Zuhältern zusammen oder duldeten sie doch zumindest. Nicht selten brachten sie entlaufene Frauen direkt wieder zu ihren Peinigern zurück, wo sie brutal bestraft wurden. Und auch nach Razzien war das oberste Gebot: Mund halten! Da die Anwerber, die die Frauen den Schleppern übergaben, nicht selten aus dem Umfeld der Opfer stammten, waren Drohungen gegen die Familie ein übliches Mittel, die Frauen zur Mitarbeit zu zwingen. Selbst wenn sich die Frauen aus Armut freiwillig in die Hände der Schleuser begaben, um nach Westeuropa zu gelangen, so doch fast immer unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Man versprach ihnen, eine Arbeit zu besorgen, mit der sie gutes Geld verdienen würden. Und dann wurden sie in die Prostitution verkauft und gezwungen, das verdiente Geld ihrem Zuhälter abzuliefern.
Dass Dorina ebenfalls Prostituierte gewesen war, hatten sie schon herausbekommen. Und dass sie den Mund hielt, weil sie um das Leben ihrer Tochter und ihrer Schwester fürchtete. Dies war wohl die Drohung, die sie gefügig gemacht hatte. Die Schläge hatten das Ihrige getan. Sie war weder bereit, über ihren Zuhälter noch über die von Ilsenbricks auszusagen. Nur über ihre Arbeit im Haushalt der Familie sprach sie ein wenig und gab zu, dass es häufig die Tochter gewesen war, die ihre schlechte Laune an ihr ausgelassen hatte.
»Das ist ungewöhnlich«, kommentierte Frau Huttner den Fall. »Genauer gesagt, so etwas hatten wir noch nie. Ich habe gehört, dass Botschaftsangehörige aus arabischen oder afrikanischen Ländern ab und zu ihre Hausangestellten wie Sklaven halten, doch eine deutsche Familie hier in Hamburg? Das ist mir neu.«
Sabine nickte zustimmend. »Eine neue Facette der Menschenverachtung. Haussklaven in unserer Zeit.« Sie dachte an Felix Leonhard und an seinen Bericht über Haiti. Das Land schien ihr plötzlich gar nicht mehr so weit weg.
Sie reichte Frau Huttner die Hand. »Ich hoffe, Sie können Dorina überzeugen, dass sie sowohl gegen ihren Zuhälter als auch gegen die von Ilsenbricks aussagt. Sonst haben wir nichts in der Hand. Dass wir sie im Keller eingeschlossen vorgefunden haben und ihr Körper Spuren von Misshandlung aufweist, reicht für eine Verurteilung nicht aus. Selbst mit ihrer Aussage wird es schwer, ihnen Sklavenhaltung nachzuweisen.«
Corinna Huttner nickte. »Ich weiß. Es ist oft sehr frustrierend. Die Opfer sind verängstigt, und die Anwälte der Gegenseite unterlassen nichts, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Einer Prostituierten unterstellt man leicht, dass sie lügt. Und dann kommen diese Verbrecher wieder mit lächerlichen Strafen davon oder werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele fassungslose Opfer nach einer Urteilsverkündung schon weinend in meinen Armen zusammengebrochen sind. Sie fragen sich, warum sie dieses Risiko auf sich genommen haben. Danach sind sie völlig auf sich allein gestellt. Je nachdem, woher sie kommen, werden sie abgeschoben, und nicht selten machen die Täter ihre Drohungen wahr und tun den Frauen selbst oder jemandem in ihrer Familie etwas an. Manche werden sogar wieder eingefangen und landen kurze Zeit später wieder auf dem Strich, in einer anderen Stadt, für einen anderen Zuhälter.«
»Es ist eine Sisyphosarbeit«, stimmte Sabine ihr zu.
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