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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wurde. Offensichtlich wollte man nie wieder Mangel leiden müssen, und das bezog sich auch auf Informationen.
    Speicherung. Archivierung. Datenbanken. Festplatten, Disketten, Sicherheitskopien, Datenausdrucke - alles, was irgendwie wichtig schien, wurde in der einen oder anderen Form verviel-fältigt und aufbewahrt.
    Vom Grundsatz her war das die gleiche Haltung, aus der in Babylon die Archive mit den Tontafeln entstanden waren, in denen ich einst gearbeitet hatte. Da gab es nicht viel zu verstehen.
    Doch trotz all dieser Schwindel erregenden Fortschritte, inmitten derer mich Esther Belkin zu sich gezogen hatte wie ein Magnet und sogar jetzt noch mein bewusstes Denken an sich fesselte, trotz all dessen existierte immer noch die ›Alte Welt‹.
    Man folge nur dem Lauf der Ströme hinein ins Marschland oder hinauf in die Berge oder ins Ödland.
    ›Der Osten‹, so nannten sie es nun, oder ›Die Dritte Welt‹, oder auch die Entwicklungsländer, die zurückgebliebenen Länder oder einfach primitive Regionen. Und die gab es noch immer auf jedem Kontinent; dort führten die Beduinen in ihren zeitlosen weißen Gewändern ihre Kamele durch den Sandsturm, zufrieden wie eh und je mit einem Leben in son-nendurchglühter Ödnis. Nur dass sie jetzt vielleicht einen Kanister Spiritus besaßen, mit dem sie ihre Nahrung ohne Zuhilfenahme von Holz oder Kohle erhitzen konnten; und nachdem sie ihr Zelt aufgeschlagen hatten, saßen sie nach der Mahlzeit vor dem batteriebetriebenen Fernseher und lauschten den Versen des Korans, die dort verlesen wurden.
    Auf den Reisterrassen, auf den Feldern Indiens, in den Mar-schen des Irak, in all den Dörfern auf der ganzen Welt, beugten immer noch Männer und Frauen den Rücken, um die Feldfrüchte zu ernten wie seit der Morgendämmerung der Menschheit.
    Inmitten der Millionenbevölkerung Asiens waren riesige, moderne städtische Vorposten entstanden, und dennoch erreichten die westlichen Erfindungen, der Überfluss, die Medizin und Hygiene die große Mehrheit der Stämme, die Bauern, Weber, Händler, Priester, Bettler und Kinder nicht.
    Hygiene, Gesundheitspflege war das Schlüsselwort.
    Es stand für die chemische Reinigung menschlicher und industrieller Abfälle, die Klärung des Trink- und Brauchwassers -
    also die Vernichtung von Schmutz in jeder Form und die Auf-rechterhaltung eines Umfeldes, das Geburt und Gebären, Aufwachsen und Sterben erträglich machte, weil man vor menschlicher, industrieller oder chemischer Verseuchung jeglicher Art sicher geschützt war.
    Nichts war so wichtig wie Hygiene; ihr war es zu verdanken, dass die großen Seuchen von der Erde verschwunden waren.
    Im ›Westen‹ war Hygiene eine Selbstverständlichkeit, im
    ›Osten‹ wurde sie teils mit Misstrauen betrachtet, teils gab es einfach zu viele Menschen, als dass man die unerlässlichen Voraussetzungen dafür hätte schaffen können.
    Krankheiten gab es massenhaft, im Dschungel wie in den Mar-schen, in den Slumgebieten der riesigen Städte wie in der Wildnis, in der die Bauern, die Arbeiter, die Fellachen immer noch lebten wie in früheren Zeiten.
    Hunger. Es gab Überfluss und es gab Hunger. In den Straßen New Yorks wurden Lebensmittel fortgeworfen, während die Bilder im Fernsehen Menschen zeigten, die in den Straßen Asiens starben. Das war nur eine Frage der Verteilung.
    Das eigentliche Rätsel dieser modernen Welt lag darin, dass es überhaupt so etwas wie ein System inmitten all dieser Ver-
    änderungen gab - dass so vieles geschehen konnte und dennoch so vieles beim Alten blieb.
    Überall gab es diese dramatischen Kontraste, die ebenso verwirren wie auch das Auge erfreuen konnten. In Indien wandel-ten heilige Männer nackt zwischen den Automobilen über die von wimmelndem Leben erfüllten Straßen Kalkuttas, und auf Haiti lagen Menschen mit gen Himmel gerichtetem Blick sterbend am Boden, während Düsenjets über sie hinwegbrausten.
    In der Metropole Kairo, am Ufer des Nils, ragten die aus Stahl und Glas errichteten Gebäude nicht weniger hoch empor als in Manhattan, doch die Straßen waren verstopft von Menschen in weiten weißen oder schwarzen Baumwollgewändern, geschnitten wie die Gewänder, die schon die Israeliten trugen, als der Pharao sie ziehen ließ.
    Die Pyramiden von Gizeh stehen seit Ewigkeiten, nur war jetzt die Luft, die sie umgab, blau von den Auspuffgasen der Autos, und die neuen Stadtviertel liefen beinahe zu ihren Füßen aus.
    Einen Steinwurf von den klimatisierten

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