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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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detailliert und - ob nun absichtlich oder versehent-lich - absurd bis zur Lächerlichkeit.
    Wie ich schon sagte: Jeder Geist hätte diese Dinge verstehen können.
    Für mich ergab sich die Frage, warum ich überhaupt irgendetwas mitbekam. Warum erwachte ich aus meinem Tiefschlaf, der fast wie der Tod war, immer fast wie der Tod, und fand mich neben den Eval-Brüdern - als ein unerwarteter, entsetzter Zeuge ihres Verbrechens?
    Was auch immer der Grund war, für den Augenblick hatte ich den Geschmack am bloßen geistigen Dahintreiben, am bloßen Existieren, am bloßen Hass verloren.
    Ich wollte aufmerksam sein, wollte vollständigen Gebrauch von meinen geistigen Fähigkeiten machen, die, unbehindert von körperlichen Gegebenheiten und der Ewigkeit verhaftet, mit jedem neuen Erwachen zusätzliche Kraft gewonnen hatten; denn schließlich hatte ich in meine Dunkelheit nicht nur jedes Mal neue Erfahrungen mitgenommen, sondern auch Gefühle und möglicherweise auch Lösungen.
    Zwangsläufig musste es einen Gebieter geben, der all dies durch seine Reaktionen, sein Verhalten, die lebendige Kraft seines Willens in eine Ordnung bringen konnte.
    Eine ganz spezielle Frage quälte mich jedoch. Ja, ich war wieder hier, und ich wollte auch hier sein. Doch hatte ich nicht Dinge getan, die sicherstellen sollten, dass ich nie wieder hierher, ins Jetzt, zurückgebracht werden konnte?
    Wenn ich es wirklich wollte, fiel mir sicherlich ein, was ich getan hatte. Vergiss die Welt und ihren Trubel für eine kurze Weile. Ich war Asrael. Asrael konnte sich an seine Taten erinnern.
    Ich hatte Gebieter erschlagen.
    Wenn ich wollte, konnte ich mich an mehr getötete Gebieter erinnern als die, die ich dir hier aufgezählt habe. Ich roch wieder das mongolische Lager, Leder, Elefanten, Duftöle - flak-kerndes Licht schimmerte unter durchhängenden Seidenstof-fen hervor, ein umgestoßenes Schachbrett, dessen kleine aus Gold und Silber gegossenen Figuren über den Teppich mit dem Blütenmuster rollten. Männer, die schrien. Vernichtet ihn, er ist ein Dämon, schickt ihn zurück in die Gebeine!
    Eine Fensterreihe in Bagdad mit Blick auf einen Kampf. Zu-rück mit dir, zurück in die Gebeine! Höllenungeheuer.
    Eine Burg in der Nähe von Prag. Ein eiskaltes Zimmer hoch in den Alpen. Und vielleicht fiele mir noch mehr ein - Dinge, die später kamen als der Raum mit den flackernden, bezaubernden Gasleuchten vor der geblümten Wandtapete des Magiers in Paris.
    Dieser Diener dient nicht mehr!
    Ja, ich hatte mir und ihnen bewiesen, dass ich jeden Geister-beschwörer töten konnte.
    Wem gehörte also das hinterhältige, verborgene Bewusstsein, das mich hierher geholt hatte zu einer solchen Zurschaustellung von Macht?
    Oh, vielleicht könnte mir die Behauptung Spaß machen, es widerstrebte mir, wieder bewusst zu existieren, ich könnte dem Leben und allem, was damit einhergeht, abschwören. Doch das brachte ich nicht fertig. Denn ich konnte Esthers Augen nicht vergessen, auch nicht die schimmernden, wunderschö-
    nen Glasscheiben in der Fifth Avenue oder den Moment, als ich die Wärme durch die Sohlen meiner Schuhe spürte und der Mann, der unbekannte freundliche Mann, seinen Arm um mich gelegt hatte!
    Ich war neugierig, und ich war frei! Wie ein Planet in seiner Umlaufbahn, so war ich an diese bizarren Ereignisse gebunden. Und doch lenkte mich kein Meister.
    Esther kannte mich, doch sie hatte mich nicht geweckt. Hatte mich jemand im Namen Esthers gerufen, jemand, den ich nun vielleicht auf tragische Weise enttäuscht hatte?
    Zwei Nächte vergingen, wirkliche Nächte, ehe ich mir klar dar-
    über wurde, dass ich wiederum erwacht war und mich durch die Luft bewegte: der Engel der Macht, der Engel des Bösen, wer weiß?
    Und hier ist, was ich sah:«

    16

    »Der Stadtteil lag in Sichtweite der City. Derselbe Wagen, der Esther dorthin gebracht hatte, wo die Eval-Brüder mit ihren Eispickeln auf sie warteten, glitt jetzt durch den Regen, begleitet von weiteren Fahrzeugen, aus denen Bodyguards ihre Augen über düstere, verlassene Gebäude schweifen ließen. Die Wagenkolonne strahlte trotz ihres Anscheins von Heimlichkeit Macht und Einflussreichtum aus.
    Durch den Regenschleier schimmerten die beleuchteten Hochhaustürme der Straße, in der sie gestorben war. Diese steinharte Kapitale der westlichen Welt war großartig in ihrem gierigen, atomar erzeugten Glanz, großartig wie Alexandria oder Konstantinopel. Dabei erinnerten mich die emporstre-benden Gebäude an die

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