Engel der Verdammten
gehorchte Gregory. Die Schriftrolle war nicht alt, nicht so alt wie die Truhe. Gregory legte sie in die Hand des Alten.
Wirst du dir anschließend die Hände waschen?
Der Rabbi kümmerte sich nicht um mich. Sorgsam entrollte er sie, glättete sie mit den Händen, damit er den ganzen Text vor sich hatte, und dann begann er zu lesen, übersetzte die Worte ins Englische, damit sein Enkel sie verstand:
›Gib dieses Ding zurück an die Hebräer, denn es ist ihr Zauber, und nur sie können es in die tiefste Hölle schicken, wo es hingehört. Der Hüter der Gebeine schenkt seinem Gebieter keine Beachtung mehr. Alte Schwüre binden ihn nicht länger.
Alte Zauber bannen ihn nicht mehr. Einmal heraufbeschworen, zerstört er, was er sieht. Nur die Hebräer kennen die Bedeutung dieser Sache. Nur die Hebräer können seine Wut im Zaume halten. Gebt es ihnen ohne Zwang.‹
Wieder lächelte ich. Ich konnte es nicht unterdrücken. Ich glaube, ich schloss vor Erleichterung die Augen, richtete meinen Blick dann aber doch auf den alten Mann, der nur Augen für das Pergament hatte.
Bin ich denn wahrhaftig aus eigenem Antrieb gekommen?
Ich wagte es nicht, das zu glauben. Nein. Vielleicht gab es da etwas Geheimnisvolles, das mich locken sollte, eine Art Falle, für die Esthers Tod nur der Köder war.
Der alte Mann saß da mit dem ausgebreiteten Schriftstück und starrte es an. Er sagte nichts mehr.
Gregory brach das Schweigen.
›Warum hast du es denn dann nicht vernichtet?‹ Er war so aufgeregt, er konnte sich kaum konzentrieren. ›Was steht da noch? Welche Sprache ist das?‹
Der Alte sah zu ihm auf, dann in meine Richtung, und dann senkte er die Augen wieder auf das Schriftstück.
›Höre, was jetzt kommt‹, sagte er, ›denn ich werde es nur einmal für dich übersetzen: »Wehe dem, der diese Gebeine vernichtet, denn, sollte es überhaupt möglich sein - und das weiß selbst der weiseste Mann nicht -, dann lässt man auf die Welt einen Geist von unberechenbarer Macht los. Einen Geist, der keinem verpflichtet ist und dem niemand gebieten kann.
Einen Geist, der verurteilt ist, auf ewig in den Lüften zu weilen, nicht fähig, die Stufen zum Himmelreich zu erklimmen oder das Tor zur Verdammnis zu öffnen. Und wer weiß, zu welcher Grausamkeit dieser Geist fähig ist gegenüber den Kindern Gottes? Gibt es nicht genug Dämonen in dieser Welt?«‹
Er warf seinem Enkel einen höchst besorgten Blick zu, auf dessen Zügen sich aber nur Fasziniertsein spiegelte.
Gregory zeigte so ziemlich jedes Anzeichen von Gier. Dass er nicht die Hände aneinander rieb, war alles.
Wieder sprach der alte Mann, langsam.
›Mein Vater nahm dieses Ding entgegen, weil er es für seine Pflicht hielt. Und jetzt kommst du und forderst es. Nun, es ge-hört beinahe dir.‹
Der Jüngere schien plötzlich wie auf Wolken, oder wie von einer überirdischen Freude erfüllt.
›Oh, Rebbe, das ist zu fantastisch, zu wunderbar‹, sagte er.
›Aber wie hat sie davon wissen können, meine arme Esther?‹
›Das musst du selbst herausfinden‹, sagte der Alte kalt. ›Ich kann das unmöglich wissen. Ich habe ihn nie beschworen, diesen Geist, und mein Vater auch nicht. Und auch der Moslem, der ihn in die Hände meines Vaters gab, wagte es nicht.‹
›Gib mir das Pergament. Ich nehme das Ding jetzt mit.‹
›Nein.‹
›Großvater, ich will es haben. Sieh, da liegen die Schecks.‹
›Und das Geld ist erst morgen auf der Bank, oder? Morgen, wenn die Beträge überwiesen sind, wenn diese Transaktion abgeschlossen ist.‹
›Großvater, überlass es mir jetzt!‹
›Morgen, morgen kannst du kommen und es mitnehmen, dann ist es dein. Und du wirst der Herr über den Hüter der Gebeine sein.‹
›Du unmöglicher, sturer alter Mann. Du weißt, die Schecks sind gedeckt. Gib mir das Ding!‹
›Oh, dir liegt ja so viel daran!‹, sagte der Ältere.
Er sah zu mir hinüber. Ich hätte wetten können, ein einladender Blick von mir, und er hätte mein verschwörerisches Lä-
cheln geteilt, aber ich lächelte nicht. Dann schaute er wieder seinen Enkel an, der sich vor Enttäuschung wand und die golden schimmernde Truhe vor seinen Füßen nicht aus den Augen ließ; er stieß ein verlangendes Stöhnen aus, aber er wagte nicht, sie zu berühren.
›Warum hast du sie getötet?‹, fragte der alte Mann.
›Was?‹
›Warum hast du deine Tochter ermorden lassen? Ich will es wissen. Das hätte mein Preis für die Truhe sein sollen!‹
›Oh, du bist dumm,
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