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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Gespür dafür zu haben.
    ›Etwas bekümmert dich, mein Geist‹, sagte er freundlich.
    ›Oder fällt es dir nur schwer, dir wieder einen realen Körper zu erschaffen?‹
    Ich hielt mich am Türgriff fest, schaute in das Glas der Scheibe, in mein Gesicht, das sich dort spiegelte.
    Ich selbst musste dafür sorgen, dass ich an Ort und Stelle blieb.
    Der Wagen bebte und rüttelte bei seiner Fahrt über die unebene Straße. Gregory merkte es nicht. Aber erneut war ein Lichtschein durch die Seitenfenster gefallen, so grell, dass er selbst deren dunkle Tönung durchbrach, in der Helligkeit sah ich, wie freudig erregt Gregory war, und wie entspannt, wie jung er in seinem Staunen und seiner Freude wirkte.
    ›Nun gut‹, sagte er liebenswürdig und zog die Augenbrauen hoch. ›Ich bin also nicht der Gebieter. Dann sag mir doch, mein Schöner - und du bist nun wirklich ein gut aussehender Geist -, warum du zu mir gekommen bist?‹
    Wieder zeigte er seine strahlenden Zähne, und als die diversen Schmuckstücke, die er trug - kleine aus Gold gefertigte Stücke am Handgelenk und an der Krawatte -, aufblitzten wie von Tönen angerührt, schien für einen Moment ein Zauber in der Luft zu liegen, der Gregory wirklich gut aussehen ließ, vielleicht ebenso gut, wie ich für ihn aussah.
    Meister ... Wer waren Meister für mich? Alte Männer?
    Ich sprach, ehe ich nachgedacht hatte.
    ›Einen so tapferen Gebieter wie dich gab es noch nie, Gregory‹, sagte ich zu ihm, ›zumindest nicht, soweit ich mich erinnern kann, und an vieles kann ich mich nicht erinnern. Aber deine Tapferkeit ist so anders, so frisch. Aber du bist nicht mein Gebieter. Mir scheint, ob es dir nun gefällt oder nicht, dass ich aus eigenem Antrieb und aus meinen eigenen Gründen heraus zu dir gekommen bin.‹
    Das gefiel ihm ungemein.
    Mir wurde wärmer, und ich spürte die Fasern meiner Kleider auf der Haut, ich spürte das angenehme Gefühl der Sicherheit, einfach nur hier zu sein. Mein einer Fuß rekelte sich in den Schuhen.
    ›Es gefällt mir, dass du keine Angst vor mir hast‹, sagte ich.
    ›Es gefällt mir, dass du wie jeder Gebieter von Anfang an weißt, was ich bin, und trotzdem nicht der Gebieter bist. Ich habe dich beobachtet. Ich habe einiges über dich in Erfahrung gebracht.‹
    ›So?‹, sagte er, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Er wirkte wie berauscht. ›Sag, was hast du erfahren?‹ Mir schien es beinahe so, als gäbe es nur eines, das er noch faszinierender fand als mich, und das war er selbst.
    Ich schenkte ihm ein Lächeln.

    Es war durchaus nicht so, dass ihm überwältigende Glücksgefühle fremd waren. Er wusste recht gut, die kleinen und gro-
    ßen Freuden des Lebens zu genießen. Und obwohl er nie zuvor ein Erlebnis wie dieses hier gehabt hatte, so war er doch durch seine Lebensführung darauf vorbereitet, es nun entsprechend genießen zu können.
    ›Ja‹, lächelte er breit, ›ja.‹
    Ich hatte gar nichts gesagt, das wussten wir beide. Und doch hatte er meine Gedanken gelesen? Konnte man wohl noch mehr darin lesen, fragte ich mich.
    Der große Wagen rollte sacht aus.
    Ich war froh. Sein Charme machte mir Angst, und dass ich mich langsam für ihn erwärmte, ließ mich ebenfalls erschrek-ken, dass ich auf irgendeine Art, indem ich mit ihm sprach, noch an Kraft hinzugewann. Das hing gar nicht von seinen Wünschen und seinem Wollen ab, allein dass er es wahrnehmen konnte, reichte wohl schon aus. Aber das konnte ich nicht hinnehmen. Ich war dabei gewesen, als Esther starb, er nicht.
    Ich hatte meinerseits Kraft genug gehabt, ihren Mördern das Leben zu nehmen, obwohl ich seine Augen nicht auf mir ge-fühlt hatte.
    Er schaute nun nach rechts und links aus den Fenstern. Dort hatte sich eine enorme Menschenmenge angesammelt, die brüllte, schrie, gegen den Wagen drängte, der plötzlich unter dem Ansturm schaukelte wie ein Boot auf den Wellen.
    Doch das Ganze berührte Gregory überhaupt nicht. Er warf mir einen Blick zu, und wieder fühlte ich, wie diese Trübheit mich einhüllte, denn der Anblick löste in mir Erinnerungen an den Prozessionszug aus, an fallende Blüten und aufsteigenden Weihrauchduft, an Menschen, die auf Flachdächern standen und mir ihre Arme entgegenstreckten.
    Jonathan, du weißt, an was ich mich erinnerte, doch ich wusste das in dem Moment nicht. Es verwirrte mich. Es war, als wolle mich etwas zwingen, meine Existenz in einem ununter-brochenen Zusammenhang zu sehen. Doch ich traute dem nicht. Ohne es zu merken,

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