Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
aufgeregt wieder zurückschob, um die Truhe im Gleichgewicht zu halten; dann wieder glitten seine Hände darüber, als versetze das Gold an sich, wie schon die Alten, so auch ihn in Aufregung.
    Gold.
    Heiß durchfuhr es mich, doch das war nur der Hauch einer Erinnerung.
    Halte stand! Sprich: Von Land und Meer, vom Lebendigen und vorn Unbelebten, von allem, was Gott schuf, kommt her zu mir, ihr Teilchen, die ich benötige, um aus mir eine Erscheinung zu machen, hauchdünn, kaum sichtbar, dennoch stark.
    Ich senkte den Blick und sah den Umriss meiner Beine, ich hatte auch wieder Hände, ich schuf mir Kleidung, wie Gregory sie trug. Ich konnte schon fast die Polster des Sitzes spüren -
    fast -, und ich sehnte mich danach, ihn zu berühren, sehnte mich nach Kleidung, die mich einhüllte.
    Ich sah Knöpfe, etwas, das glänzenden Knöpfen gleichkam, und Fingernägel auch. Und ich hob meine unsichtbare Hand ans Kinn, um sicherzustellen, dass ich glatt rasiert war wie Gregory. Aber meine Haare wollte ich, meine langen Haare, dick und lang, wie Samsons Haar. Ich vergrub meine Finger in den Locken. Ich hätte das Ganze gern zu Ende gebracht, aber noch nicht in diesem Moment.
    Ich musste es nur sagen, wenn Asrael erscheinen sollte, so war es! Ich ganz allein. Ich war jetzt der Gebieter.
    Plötzlich ließ Gregory die Truhe sinken. Mitten auf dem Wa-genboden kniete er nieder und setzte den Schrein vor sich ab, dabei stützte er sich am Sitz ab, um die schwingenden Bewegungen des Fahrzeugs abzufangen. Seine rechte Hand war mir so nahe, dass sie mich fast berührte. Und dann riss er den Deckel der Truhe auf, der, brüchig und trocken, fast nur noch eine dünne Hülle, nach hinten flog, und im Inneren - dort in ihrem Bett aus moderndem Tuch lagen die Gebeine.
    Ein Schock durchlief mich, als hätte ich eine Infusion frischen Blutes erhalten. Nun hätte nur noch mein Herz schlagen müssen. Nein, noch nicht.
    Ich senkte den Blick auf die Überreste meines einstigen Körpers, auf die goldüberzogenen Knochen, in denen meine Seele eingeschlossen war und die auf Draht gefädelt und in der Form eines im Mutterleib schlafenden Kindes ausgelegt waren.
    Eine Verschwommenheit, ein Gefühl der Auflösung, drohte mich zu überwältigen. Woher kam das? Schmerz. Wir waren in einem großen Raum. Ich kannte den Raum. Ich spürte die Hitze eines Kessels, in dem etwas siedete. Nein. Davon will ich nichts wissen. Nicht jetzt. Lass dir dadurch nicht deine Kraft rauben, Asrael.
    Schau auf den Mann dort, wie er vor dir auf den Knien liegt und die Gebeine, die doch die deinen sind, nachgerade anbetet.
    ›Körper, löse dich nicht von mir‹, wisperte ich. ›Bleibe fest und so stark, dass Engel mich beneiden könnten. Forme mich zu dem Mann, den ich im Spiegel sähe, hielte ich ihn mir in meiner glücklichsten Stunde vor Augen.‹
    Gregory stutzte. Er hatte mein Flüstern gehört. Doch im Dunkel des Wagens sah er nur die Truhe. Was waren schon Stö-
    ße und Knarren und Geflüster? Der Wagen flog nur so dahin.
    Die Stadt zischte und pulsierte.
    Seine Augen waren auf die Gebeine geheftet.
    ›Mein Gott‹, sagte er, und sein Gewicht auf die Fersen verlagernd, um nicht umzufallen, langte er nach dem Schädel.
    Ich spürte das. Ich spürte seine Hände an meinem Kopf. Doch nur wie ein Streicheln auf dem dichten schwarzen Haar, das ich mir selbst geschaffen hatte.
    ›Mein Gott!‹, wiederholte er. ›Hüter der Gebeine? Du hast einen neuen Gebieter. Es sind Gregory Belkin und seine gesamte Anhängerschaft. Ich rufe dich, ich, der zum »Tempel vom Geiste Gottes« gehört. Komm her zu mir, Geist! Komm her zu mir.‹
    Ich sagte: ›Ja, vielleicht, aber vielleicht nicht mit so vielen Worten. Ich bin schon hier.‹
    Er hob den Blick, sah mich gelassen ihm gegenüber sitzen und stieß einen lauten Schrei aus, während er seitwärts gegen die Wagentür fiel. Die Truhe ließ er dabei aus den Händen gleiten.
    Ich spürte keine Veränderung in mir, ich wurde eher noch stärker und deutlicher sichtbar. Ich beugte mich zu ihm hin-
    über und dann vorsichtig nach unten und schloss eigenhändig den brüchigen Deckel der Truhe. Danach lehnte ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen zurück und seufzte.
    Er hockte noch immer zusammengekauert auf dem Wagenbo-den neben der Tür, mit dem Rücken zum Sitz, und starrte mich an. Starrte nur. Dann, von einem Staunen erfüllt, das ich schon häufig bei Sterblichen gesehen hatte, zeigte er Furchtlosigkeit und triumphierende

Weitere Kostenlose Bücher