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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aufhalten. Durch die Scheiben sah ich das Flackern der Kerzen.
    Unser Chauffeur saß bereits vorn am Lenkrad, die Scheibe, die ihn sonst von den Insassen trennte, war nicht geschlossen.

    ›Fahre uns zu meinem Flugzeug, Ritchie‹, sagte Rachel. Ihre Stimme klang nun voller und beherzter. ›Ich habe schon Bescheid gesagt! Kümmer dich nicht um die anderen. Der Jet wartet, und ich bin entschlossen zu fliegen.‹
    Flugzeug. Natürlich kannte ich das Wort.
    ›Ja, Ma'am‹, antwortete er, mit einer Spur von Vergnügen, wenn nicht sogar Entzücken in seiner Miene. Ihre Worte waren offensichtlich Gesetz für ihn.
    Der Wagen schob sich vorwärts, teilte die singenden Menschenmassen, zielte auf die Straßenmitte und preschte so schnell voran, dass wir gegeneinander geschleudert wurden.
    Die Trennscheibe hinter dem Fahrer schloss sich und schuf so ein Stück Privatheit für uns. Die daraus resultierende Intimität ließ mich erröten. Ich schaute auf ihre Hand und sah, wie weiß die Haut war und wie locker sie über den Knochen lag. Hände verraten das Alter. Die Knöchel waren geschwollen, doch ihre Nägel waren hübsch mit roter Farbe lackiert und sorgfältig manikürt. Das war mir bisher nicht aufgefallen, es ließ mich entzückt erschauern. Ihr Gesicht sah um viele Jahre jünger aus als ihre Hände. Es war offensichtlich geliftet worden, wie Gregorys war ihm die Jugend zurückgegeben worden, und Rachel hatte von dieser Prozedur profitiert, denn Wangen- und Kieferknochen zeigten ihren symmetrischen Schnitt nun um so deutlicher - und ihre Augen, nun, ihre Augen waren zeitlos schön.
    Ich spitzte - um es in einem Bild auszudrücken - die Ohren, ob ich einen Ruf von Gregory empfing, der mich in meiner Physis zu beeinträchtigen suchte, durch was für Worte oder dröhnende Beschwörungen oder Hantierungen mit den Gebeinen auch immer veranlasst. Nichts! Ich war völlig unabhängig von ihm, wie ich bereits vermutet hatte. Nichts hielt mich zurück, engte mich in meinem Handlungsspielraum ein.
    Ich legte sogar meinen rechten Arm um Rachel und zog sie eng an mich, ich fühlte Liebe für sie und ein tiefes Bedürfnis, ihr zu helfen.
    Sie gab dem mit einer Art kindlichem Fallenlassen nach, ich spürte, dass ihr Körper viel hinfälliger war, als ich angenommen hatte. Oder kam es mir nur so vor, weil der meine noch immer an Festigkeit und Stärke zunahm?
    ›Ich bin hier‹, murmelte ich, als habe mich mein Gott oder mein Gebieter Aufmerksamkeit heischend angesprochen.
    Die Krankheit verlieh Rachels Schönheit etwas Elfenbeiner-nes.
    Doch die Krankheit war schlimm. Ich konnte sie riechen - kein widerwärtiger Geruch, sondern einfach nur der Geruch eines Körpers, der langsam stirbt. Nur ihr dichtes, schwarzsilbernes Haar schien immun dagegen zu sein, doch selbst das schimmernde Weiß ihrer Augäpfel zeigte schon Trübungen.
    ›Er vergiftet mich langsam‹, sagte sie, als habe sie meine Gedanken gelesen, und sie sah forschend zu mir auf. ›Er kontrolliert alles, was ich esse und trinke! Ich sterbe, natürlich! Das ist ein Pluspunkt für ihn, aber er sähe mich schon jetzt gern tot.
    Ich will aber nicht bei ihm sterben, ich kann die Tempelbrüder, seine Getreuen vom Geiste, nicht ausstehen.‹
    ›Sie werden nicht bei ihm bleiben müssen, dafür sorge ich. Ich bleibe bei Ihnen, so lange Sie wollen.‹ Mir wurde plötzlich klar, dass ich, seit ich mich hier in dieser Stadt materialisiert hatte, zum ersten Mal eine Frau berührte, und ich fand diese femini-ne Weichheit sehr verführerisch. Ich spürte durchaus einige körperliche Reaktionen, genau wie sie einem normalen Mann widerfahren würden, der ein zartes, vollbusiges Geschöpf an sich presst. Ich bekam eine Erektion. Ich fragte mich, was passieren konnte, aber ich machte mir weniger Gedanken über Rachels Tugend als über meine eigenen Beschränkungen. Alles, was für mich dabei herauskam, waren ein paar wirre Erinnerungen daran, dass ich tatsächlich auch in früheren Zeiten als Geist in körperlicher Form Frauen besessen hatte und dass meine Gebieter heftig dagegen gewettert hatten wegen der schwächenden Auswirkungen. Aber auch jetzt hatte ich nur gesichts- und gestaltlose Vorstellungen.
    Ich ließ Rachel nicht los, obwohl der Anblick ihrer weißen Schenkel, ihrer Kehle und ihres Busens mir schier die Sinne raubte.
    Sie war ungeduldig, weil sie noch immer unter dem Einfluss der Medikamente stand.
    ›Warum nannte meine Tochter Ihren Namen?‹, fragte sie. ›Sie hat Sie

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