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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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mir. ›Sagen Sie mir, wer Sie sind! Schnell. Sprechen Sie.‹
    Ich hielt sie aufrecht, ohne mich wäre sie niedergesunken.
    Ich sagte: ›Als Ihre Tochter starb, hat sie noch etwas gesagt.
    Hat man Ihnen das nicht erzählt?‹
    ›Großer Gott. Asrael, der Hüter der Gebeines sagte sie bitter, und ihr standen plötzlich Tränen in den Augen. ›Ja, das hat sie gesagt.‹
    ›Das bin ich‹, sagte ich. ›Ich bin Asrael, derjenige, den sie in ihrer letzten Minute sah. Ich habe geweint damals, wie Sie jetzt weinen. Ich sah sie daliegen, und ich weinte um sie, und ich konnte ihr nicht helfen. Aber Ihnen kann ich helfen.«

    19

    »Sie sah nicht mehr so bekümmert drein, doch ich hatte keine Ahnung, was genau sie von dieser meiner Enthüllung hielt. So krank sie auch war, zeigte sie doch die Schönheit, die in Esthers jugendhafter Blüte angedeutet war, in ihrer vollen Reife.
    Die Türen öffneten sich abermals und spien eine ganze Armee gegen sie aus - ältere Männer, alle ziemlich betroffen und sehr geräuschvoll. Es fiel mir leicht, diese nicht sonderlich von sich überzeugte Truppe beiseite zu schieben - na, eigentlich zerstreute ich sie wohl eher in alle Winde, was sie mit hysteri-scher Furcht erfüllte. Rachel tat ein Übriges, indem sie ihre Stimme einsetzte.
    ›Lasst sofort meinen Wagen vorfahren‹, sagte sie sehr scharf.
    ›Ist das klar? Aus dem Weg mit euch.‹ Die Männer wagten nicht, sich wieder zu sammeln. Rachel schoss regelrecht Befehle auf sie ab: ›Henry, ich will dich hier nicht mehr sehen!
    George, geh nach oben! Mein Mann wird dich brauchen. Du, da drüben, was machst du da ...‹
    Während sie noch miteinander stritten, was zu tun sei, marschierte sie mir voraus auf die geöffneten Türen zu. Ein Mann rechts von uns nahm ein vergoldetes Telefon von einem kleinen Marmortisch. Sie wandte sich um und warf ihm einen dermaßen giftigen Blick zu, dass ihm der Hörer aus der Hand fiel. Ich musste lachen. Ich fand ihre Kraft und ihr Durchset-zungsvermögen toll! Aber sie beachtete das gar nicht.
    Durch die Fensterfront zur Straße hinaus konnte ich den gro-
    ßen grauhaarigen Mann sehen, der schon zuvor den Wagen gefahren hatte. Der, der so sehr um Esther getrauert hatte. Er konnte uns nicht sehen. Doch der Wagen stand bereits drau-
    ßen.
    Die Männer starteten einen neuen Angriff auf sie, murmelten besorgte Phrasen wie: ›Kommen Sie, Mrs. Belkin, Sie sind nicht gesund.‹ - ›Rachel, was Sie da tun, ist nicht gut für Sie.‹
    Ich wies auf den traurigen Mann: ›Sehen Sie. Der da, das ist der, der bei Esther war. Er hat um sie geweint. Er wird tun, was wir sagen.‹
    ›Ritchie!‹, flötete sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und drängelte sich zwischen den Männern hindurch. ›Ritchie, ich möchte jetzt fahren.‹
    Es war wirklich derselbe Mann, der mit dem zerfurchten Gesicht, und ich hatte ihn richtig beurteilt. Er öffnete die Wagentür, als er sah, dass wir auf ihn zukamen.
    Die Menge vor dem Gebäude drängte sich noch dichter als zuvor gegen die Absperrungen, immer noch singend und brennende Kerzen in die Höhe haltend. Scheinwerfer flammten auf; Kameras richteten sich auf uns, wie einäugige Insek-ten schoben sie sich heran. Aber Rachel ließ sich von ihnen nicht irritieren, genauso wenig wie Gregory.
    Hier und da verneigten sich ganze Gruppen von Menschen vor Rachel oder stießen laute, Trauer bekundende Klagelaute aus.
    ›Komm, Rachel, komm endlich‹, sagte der Fahrer. Er sprach zu ihr, als gehöre er zur Familie. ›Lasst sie durch‹, sagte er zu den unentschlossenen Bewachern, die nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, und einem älteren Mann, der am Bord-steinrand stand, rief er zu: ›Öffne die Tür für Mrs. Belkin!‹
    Die Menge rechts und links des Weges verfiel regelrecht in Raserei, es sah aus, als wollten sie die Absperrungen durch-brechen, sie riefen Rachel Grußworte zu, allerdings in tiefstem Respekt vor ihr.
    Sie verschwand im Wagen, ich folgte ihr auf dem Fuße und ließ mich neben sie auf den schwarzsamtenen Sitz fallen.
    Plötzlich hielten wir einander an den Händen, sie und ich. Die Tür knallte hinter uns zu. Ich umfasste ihre Hand mit festem Druck.
    Dies war tatsächlich der gleiche riesige Mercedes, der Esther zu ihrem Rendezvous mit dem Tod gefahren hatte und in dem ich vor Gregory aufgetaucht war. Also nichts Überraschendes hier. Der Motor schnurrte. Die Menge draußen konnte selbst in ihrem Rausch der Verehrung einen solchen Wagen nicht

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