Engel der Verdammten
getötet; das anzunehmen wäre nun wirklich töricht.‹
Sie war ziemlich bewegt.
Der Wagen hatte inzwischen den Fluss überquert und rauschte an mehrstöckigen Ziegelsteinbauten vorbei, die, in trübes Licht getaucht, wie der Vorhof der Hölle wirkten.
Rachel grübelte, schüttelte dann den Kopf.
›Sag, warum warst du mit Gregory und diesem Rabbi zusammen?‹
›Gregory ging hin, um von ihm die Bedeutung von Esthers letzten Worten zu erfahren. Der Rabbi kannte die Worte. Er hatte die Gebeine. Jetzt hat Gregory sie. Und mich nennt man den Hüter der Gebeine. Der Rabbi hat Gregory die Gebeine verkauft unter der Bedingung, dass Gregory nie wieder mit seinem Bruder Nathan spricht, nie wieder die jüdische Gemeinde aufsucht und sie niemals bloßstellt, indem er seine Abstammung preisgibt und die Chassidim so mit seiner Kirche in Verbindung bringt.‹
›Guter Gott!‹, sagte sie und betrachtete mich feindselig.
›Sieh mal, der Rabbi hat nie versucht, mich zu beschwören.
Der Rabbi wollte mit mir nichts zu tun haben. Aber er war sozusagen sein ganzes Leben lang, seit sein Vater ihm die Gebeine übergeben hatte, ihr Wächter gewesen, schon seit seiner Zeit in Polen, seit Ende des letzten Jahrhunderts. Das habe ich ihrem Gespräch entnommen. Die Gebeine waren meine Ruhestätte gewesen.‹
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. ›Du glaubst offensichtlich an das, was du da erzählst, ganz klar‹, meinte sie.
›Jetzt erzähle du über Esther und Nathan‹, sagte ich.
›Esther kam eines Tages nach Hause und hatte dann diese Auseinandersetzung mit Gregory. Sie schrie ihn an, wenn er schon Verwandte jenseits der Brooklyn-Bridge habe, solle er sie gefälligst anerkennen, denn sein Bruder liebe ihn wirklich.
Das habe ich gehört. Aber ich habe nicht weiter darauf geachtet. Sie kam dann und erzählte mir davon. Ich habe ihr gesagt, wenn sie Chassidim wären, hätten sie schon längst das kad-dish für ihn gesprochen. Mir ging es sehr schlecht damals. Ich war von Drogen betäubt. Und Gregory war sehr wütend auf sie. Aber weißt du, sie hatten sich schon immer gestritten.
Aber er ... er hat seine Finger irgendwie im Spiel, was ihren Tod betrifft, das weiß ich einfach! Dieses Collier. Sie hätte dieses Collier niemals am hellichten Tag getragen.‹
›Warum nicht?‹
›Aus einem ganz einfachen Grund: Esther ist in den besten Schulen erzogen worden, und sie hat auch debütiert. Diamanten trägt man nicht vor sechs Uhr abends. Esther hätte niemals beim Einkaufsbummel auf der Fifth Avenue Diamanten getragen. Das tut man einfach nicht. Aber warum nur hat er ihr etwas angetan? Warum? Sollte es wirklich um seine Verwandtschaft gegangen sein? Nein, ich versteh's einfach nicht.
Und warum reitet er so auf den Diamanten herum? Warum kommt er plötzlich mit dieser Geschichte daher?‹
›Erzähl mir noch mehr darüber. Mir scheint, ich kann da ein Schema erkennen. Schiffe, Flugzeuge, ein verheimlichtes Vor-leben. Ich glaube, ich erkenne da etwas ... es ist mir nur noch nicht ganz klar.‹
Sie starrte mich an.
›Sprich‹, sagte ich zu ihr. ›Du musst mir mehr erzählen. Vertraue mir. Du weißt, ich schütze dich, ich bin für dich da. Ich liebe dich, und ich liebe deine Tochter, denn ihr seid beide gut, ihr seid gerecht, und die Menschen haben euch grausam behandelt. Ich mag Grausamkeiten nicht, sie machen mich nervös, und dann möchte ich um mich schlagen ...‹
Das erstaunte sie, aber sie glaubte es. Sie versuchte zu sprechen, aber ihr fehlten die Worte. Ihre Gedanken überschlugen sich, und sie begann zu zittern. Ich streichelte beruhigend ihr Gesicht und hoffte, dass meine Hände ihr Trost boten.
›Lass mich los‹, bat sie freundlich. Aber sie legte ihre Hand auf meinen Arm, tätschelte mich mitfühlend und lehnte sich gegen meine Schulter. Sie kuschelte sich an mich, dabei lugte ihr nacktes Knie, hübsch und fest, unter dem Rocksaum hervor und presste sich an meines. Sie stöhnte und jammerte von Kummer verzehrt und ballte die rechte Hand zur Faust.
Der Wagen rollte langsam aus. Wir waren an einem seltsamen, ausgedehnten Platz angelangt, der in eklige Dämpfe eingehüllt war und voller Flugzeuge stand. Ja, Flugzeuge.
Flugzeuge bedurften keiner Erklärung für mich, sie erklärten sich von allein in all ihrer bebenden, kantigen Größe, riesige metallene Vögel auf lächerlich kleinen Rädern, deren Flügel mit riesigen Mengen Kerosin beladen waren, sodass man mit seinem Feuer die ganze Welt in Brand
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