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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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traumhaft schönen Wasser, und jenseits davon turmhohe, von Licht funkelnde Bauten.
    Ich liebte diese Welt.
    Als ich mich Rachel näherte, war ich so froh, dass ich unkontrolliert losplapperte. ›Sieh nur, Rachel, all das Wasser ringsum. Und der Himmel ist so klar, so hoch gespannt, sieh nur, die sich aufbauschenden, ziehenden Wolken. Man kann ihre Umrisse sehen, als sei es heller Tag.‹
    Sie wurde ganz steif und starrte mich an.
    Ich ließ den Schal in ihre Hand gleiten und wickelte ihn um ihre Finger. ›Da ist der Schal. Er lag auf Esthers Bett.‹
    Sie schüttelte den Kopf, sie wollte etwas sagen. Sie und der trübsinnige Ritchie, beide gafften mich an, vollkommen unter Schock stehend.
    Sie sagte: ›Ich bin noch nie in meinem Leben ohnmächtig geworden. Ich glaube, jetzt ist es so weit.‹
    ›Nein, nein, ich bin's doch nur. Ich bin hergekommen. Ich habe Gregory gesehen, ich glaube, ich weiß jetzt, was er vorhat.
    Und hier ist der Schal. Fall bitte nicht in Ohnmacht! Oder meinetwegen doch, wenn du willst. Ich werde dich tragen.‹
    Die breite Glastür schwang auf. Angestellte brachten ihr Ge-päck herein, die Reisetasche und ein paar Koffer, die ich vorher nicht gesehen hatte. Ritchie starrte mich immer noch kopfschüttelnd an. Sein zerfurchtes Gesicht zeigte Zorn.
    Rachel kam auf mich zu.
    ›Du siehst es‹, wandte ich mich an sie, ›alles, was ich behauptet habe, ist wahr.‹
    ›Tatsächlich?‹, flüsterte sie. Sie war totenbleich.
    ›Komm, lass uns ins Haus gehen‹, sagte Ritchie. Er hob sie hoch und trug sie vor mir her zum Aufzug. So alt er auch war, er hielt sie ohne Anstrengung in den Armen.
    ›Ich komme mit‹, sagte ich, als die Türen sich zu schließen begannen. Aber Ritchie warf mir unter seinen düster gerunzel-ten Brauen einen giftigen Blick zu, drückte den Finger auf den Knopf und versperrte mir den Weg.
    ›Na gut, wie du willst‹, gab ich nach.
    Ich traf sie oben auf dem Flur. Es war für mich nur ein flotter Lauf die Treppen hinauf gewesen, so wie ich einst als Knabe gerannt war.
    Ritchie verstand die Welt nicht mehr. Wütend, immer noch Rachel im Arm haltend, die mich mit großen Augen anstarrte, hastete er auf die Tür zu und steckte den Schlüssel ins Schloss. Die Angestellten trugen das Gepäck in das Apartment.
    Rachel sagte: ›Setz mich ab, Ritchie. Es ist schon in Ordnung.
    Warte unten und nimm die anderen mit.‹
    ›Rachel!‹ Er litt sichtlich, blieb aber standhaft, wie er war, stehen, die alten, knorrigen Finger kampfbereit zu Fäusten geballt.
    ›Warum hast du solche Angst vor mir? Glaubst du, ich könnte ihr etwas antun?‹, fragte ich ihn.
    ›Ich weiß nicht, was ich denken soll!‹ Seine Stimme klang plötzlich gealtert, rau. ›Ich denke am besten gar nichts mehr.‹

    Rachel zog mich durch die Tür und sagte: ›Geht jetzt, ihr alle!‹
    Ein Panorama wunderschöner Räume glitt an mir vorbei, deren Fenster gingen teils auf die See, teils auf eine Terrasse hinaus, die mich an den Innenhof meiner Jugend erinnerte, und an einen Garten in einer griechischen, am Meer gelegenen Stadt, wo ich zunächst unglücklich und dann doch so glücklich gewesen war. Ich war wie benommen.
    Die Schönheit dieses Ortes, die Wärme, die Fenster, die den Himmel einrahmten - es war kaum zu beschreiben. Es ließ ein Gefühl überschäumender Liebe in mir entstehen, und ich glaube, eine Erinnerung an Zurvan berührte mich, nicht mit Worten, sondern wie mit einer Offenbarung: Dieses Gefühl der Liebe wusch mich rein, verlieh mir innere Ruhe. Ich verstand nun, dass es eine Welt geben konnte, in der die einzige Tugend, die zählt, die Liebe ist. Ein wohliges Gefühl überkam mich, doch ich bemühte mich nicht um Erinnerungen. Überall wehten weiche weiße Vorhänge im Wind. Die Terrasse drau-
    ßen explodierte förmlich vor Farben, riesige rote afrikanische Blumen, entzückende, purpurfarben blühende Ranken und schlanke Bäume mit filigranen Blättern wiegten sich im Wind.
    Der Duft der Blumen war überall.
    Rachel hatte die Eingangstür hinter den Bediensteten und, nicht zu vergessen, hinter ihrem Schutzengel Ritchie zugesto-
    ßen, jetzt schloss sie ab und legte eine kleine Kette vor, dann schaute sie mich an.
    ›Glaubst du mir nun?‹, fragte ich.
    Sie lehnte sich an mich.
    ›Komm, ich halte dich fest.‹
    Sie ließ sich sacht gegen mich fallen. ›Trage mich ins Bett!‹, sagte sie. ›Da hinten, durch den Garten und dann links, da ist es.‹
    Sie legte die Arme um meinen Hals und ich

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