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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schläfenlocken und waren in den seidenen Kaftan gekleidet. Es gab nur Chassidim hier.
    Das Gesicht des Rabbi bebte vor rasender Wut. Er versuchte, mich zu exorzieren, doch ich hielt stand und hob die Hand.
    ›Ich muss mit Nathan Sprechen‹, sagte ich auf Jiddisch. ›Nathan könnte in Gefahr sein. Gregory ist eine Bedrohung, und deshalb muss ich Nathan sehen. Ich werde hier nicht eher weggehen, bis ich ihn gefunden habe. Vielleicht hat er ein mitfühlendes, tapferes Herz und wird mich anhören. Wie auch immer, ich werde in Liebe zu ihm sprechen. Vielleicht wandelt Nathan auf den Wegen Gottes, und wenn ich ihn rette, so errette ich auch mich.‹
    Niemand sagte etwas. Schließlich baten die Männer die an-wesenden Frauen zu gehen, was diese auch taten, dann riefen sie einige alte Männer aus dem Flur von draußen herein und bedeuteten mir, in das Arbeitszimmer des Rabbi zu gehen. Nun befand ich mich also inmitten einer Versammlung von Ältesten. Einer der Männer zog ein Stück Kreide aus der Tasche, malte damit einen Kreis auf den Teppich und befahl mir, mich in ihn hineinzustellen.
    Ich sagte: ›Nein, ich bin hier, um zu lieben, nicht um jemandem ein Leid anzutun. Ich bin hier, weil ich zwei Menschen liebte, die nun beide tot sind. Von ihnen habe ich zu lieben gelernt. Ich will nicht mehr der Hüter der Gebeine sein. Ich will nichts Böses mehr tun. Zorn, Hass und Bitterkeit sollen mich nicht länger treiben. Und ihr werdet mich nicht mit eurer Magie in diesen Kreis schicken. Ich bin zu mächtig für diesen Kreis.
    Er hat keine Bedeutung für mich. Was mich nun bestimmt, ist die Liebe zu Nathan.‹
    Der Rabbi, sichtlich unglücklich, sank in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch, der wesentlich offizieller wirkte als sein kleines Pult unten in dem Souterrainzimmer, wo ich das erste Mal mit ihm zusammengetroffen war.
    ›Rachel Belkin ist tot‹, teilte ich ihnen mit. ›Sie hat sich selbst getötet.‹
    ›In den Nachrichten wird gesagt, du hast sie getötet‹, sagte der Rabbi, und die anderen Männer murmelten zustimmend.
    Ein sehr alter Mann, dünn, mit schütterem Haar und einem Kopf wie ein in Seide gehüllter Totenschädel, trat vor und schaute mir in die Augen. ›Wir sehen nicht fern, das nicht, aber solche Nachrichten wie die verbreiten sich schnell -, dass du sie und ihre Tochter getötet hast.‹
    ›Das ist eine Lüge‹, entgegnete ich. ›Esther Belkin traf Nathan, Gregorys Bruder, im Diamantenviertel. Sie hat ein Collier bei ihm gekauft. Ich glaube, dass Gregory Belkin sie deshalb ermorden ließ, weil sie von seiner Familie erfahren hatte, und ganz besonders deswegen, weil sie nun von diesem Zwillingsbruder wusste. Nathan ist in Gefahr.‹
    Sie standen bewegungslos da. Ich konnte nicht vorhersehen, was geschehen würde. Ich weiß, ich bot einen merkwürdigen Anblick in dem dunkelroten Samt mit der reichen Goldverzie-rung an den Ärmeln und mit meinem dunklen Haar und dem Vollbart, aber schließlich sahen sie genauso merkwürdig aus, alle mit Barten und schwarzen Hüten, und in den langen schwarzen Kaftanen.
    Nach und nach bildeten sie einen Kreis um mich und schleu-derten mir Fragen entgegen. Zuerst wusste ich nicht, was das sollte, doch dann wurde mir klar, dass es eine Probe war. Die erste Frage war, ob ich aus dem oder jenem Buch der Thora zitieren könne. Sie benutzten Namen und Ziffern, die mir bekannt waren, und ich beantwortete alle Fragen und warf ihnen Zitate an den Kopf, erst auf Hebräisch, dann wechselte ich zu Griechisch, und schließlich verblüffte ich sie, indem ich sehr altes Aramäisch benutzte.
    ›Nenne die Propheten‹, verlangten sie. Und ich tat es, wobei ich auch Enoch nicht ausließ, der ja zu meiner Zeit ein Prophet gewesen war. Das schockierte sie, denn sie wussten nichts von ihm.
    ›Babylon?‹
    ›Daran kann ich mich nicht erinnern!‹, antwortete ich. ›Ich muss Gregory Belkin davon abhalten, seinem Bruder etwas anzutun. Ich bin überzeugt davon, dass er Esther töten ließ, weil sie Nathan traf, weil sie von ihm wusste, und da gibt es andere verdächtige Dinge.‹
    Nun befragten sie mich über den Talmud: Was sind die Mizwa? Ich sagte ihnen, es gebe 613, und dass es Regeln und Gebote seien, die das ganze Leben - Verhalten, Reden, Benehmen - beträfen. Ihre Fragen hörten gar nicht mehr auf, es ging um Rituale, um Reinigungen, um Verbote und die Kabbala. Ich hastete durch die Antworten, verfiel immer mal wieder ins Aramäische, um dann wieder aufs Jiddische

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