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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wie ich sie zu wiederholten Malen abgeschrieben hatte. Laut sang ich nun die Worte in der uralten Sprache, wie ich sie gelernt hatte, und ich wiegte mich rhythmisch dabei: Herzlich lieb hab ich dich, Herr, meine Stärke.
    Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter.
    Mein Gott, mein Hort, auf den ich traue.
    Mein Schild und Horn meines Heils und mein Schutz.

    Es umfingen mich des Todes Bande
    und die Bäche Belials erschreckten mich.
    Der Hölle Bande umfingen mich
    und des Todes Stricke überwältigten mich.
    In meiner Angst rief ich den Herrn an und schrie zu meinem Gott.
    Da erhörte er meine Stimme ...

    Das brachte die Männer endlich zum Schweigen. Ohne Furcht und ohne Hass starrten sie mich an, als hätten sie ein Wunder gesehen. Selbst des Rabbis Seele war beruhigt, und der Hass war von ihr abgefallen.
    Als ich jetzt zu ihnen sprach, wählte ich Aramäisch: ›Ich vergebe denen, die aus mir einen Dämon machten, wer sie auch waren und zu welchem Zweck sie es auch taten. Von Esther und Rachel lernte ich zu lieben, und deshalb komme ich in Liebe, Liebe zu Nathan und Liebe zu Gott. Lieben bedeutet, Liebe zu erfahren, und das heißt, Gott zu lieben. Amen.‹
    Der Rabbi zeigte ein plötzliches Misstrauen, doch es richtete sich nicht mehr gegen mich. Er fasste das Telefon auf seinem Schreibtisch ins Auge, dann sah er mich an.
    Der älteste der Männer sagte auf Hebräisch: ›Er war also ein Dämon und will ein Engel sein? Ist das denn möglich?‹
    Der Rabbi antwortete nicht. Stattdessen griff er zum Hörer und tippte eine Nummernfolge ein, so lang, dass ich sie mir nicht merken konnte, und redete eifrig in Jiddisch.
    Er fragte, ob Nathan da sei. Ob dieser heil angekommen sei?
    Er nehme an, dass jemand angerufen hätte, wenn Nathan nicht gekommen wäre, aber er wolle dennoch mit seinem Enkel sprechen.
    Dann zeigte sich Schrecken auf seinem Gesicht. Im Raum war es ganz still, alle schauten ihn nur an und schienen zu wissen, warum.
    Wieder sprach der Rabbi in den Hörer. ›Er hat euch nichts davon gesagt, dass er kommt? Ihr habt nichts von ihm gehört?
    Kein Wort?‹
    Die Alten waren erschüttert. Ich auch.
    ›Er ist nicht dort‹, sagte ich, ›er ist nicht dort!‹
    Der Alte erklärte denen am anderen Ende der Leitung noch einmal ausführlich jede Kleinigkeit. Sie wussten nichts davon, dass Nathan jetzt schon nach Israel kommen sollte. Ihr letzter Stand war, dass Nathan zur gewohnten Zeit, nämlich später im Jahr, kommen wollte. Dafür sei alles vorbereitet, und sie hätten von ihm keinen Anruf erhalten, in dem er von einer vor-zeitigen Reise sprach.
    Der Rabbi legte den Hörer auf. ›Sagt Sarah nichts davon!‹, sagte er und hob beschwichtigend die Hände. Die anderen nickten. Dann befahl er dem Jüngsten, Sarah zu holen. ›Ich werde mit ihr reden.‹
    Sarah, eine bescheidene, demütige Frau, kam herein. Sie war sehr schön, mit schmalen, mandelförmigen Augen und einem lieblichen, weichen Mund, doch ihr Haar war bedeckt mit einer unansehnlichen braunen Perücke. Aus ihren Augen strahlte Güte, und sie sah mich scheu, aber völlig vorurteilslos an.
    Dann wandte sie ihren Blick dem Rabbi zu.
    ›Hat dich dein Mann schon angerufen, seit er fort ist?‹
    Sie verneinte.
    ›Hast du ihn zusammen mit Jakob und Joseph zum Flughafen gebracht?‹
    Abermals nein.
    Schweigen.
    Sie schaute zuerst mich an und senkte dann den Blick.
    ›Ich bitte um Vergebung‹, mischte ich mich ein, ›aber sagte Nathan Ihnen, dass er nach Israel geht?‹
    Sie sagte, ja, ein Wagen sei gekommen, von einem reichen Freund aus der Stadt geschickt, um ihn abzuholen, und er sagte, er werde bald zurück sein.
    ›Hat er Ihnen gesagt, wer der Freund ist? Bitte, Sarah, sagen Sie es mir, bitte.‹
    Sie schien jetzt gänzlich beruhigt, und etwas in ihr öffnete sich plötzlich. Ich fand in ihren Augen die gleiche Güte und Freundlichkeit, die ich bei dem fremden Mädchen in der Stadt unten im Süden gefunden hatte und auch in Esther und Rachel. Die Güte und Freundlichkeit einer Frau, die völlig verschieden ist von der eines Mannes. Vielleicht geschieht das, dachte ich, wenn man liebt, wirklich liebt, dass einem dann auch Liebe entgegengebracht wird! Ich fühlte mich so frei von Hass und Zorn, dass mich ein Schauer überlief. Mit den Augen bedeutete ich ihr weiterzusprechen.
    Sie wirkte irritiert, warf einen Blick auf den Rabbi, neigte den Kopf und errötete. Sie war nahe daran zu weinen.
    ›Nathan hat das Diamanthalsband mitgenommen‹, sagte

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