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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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unzähligen Cousins und Cousinen, und der eine oder andere saß immer an den Fenstern, die zum Hof zeigten, und genoß dort die kühle Brise, anstatt sich im Innenhof selbst aufzuhalten. Dieser Hof war ein Garten Eden, als gehöre er zu den hängenden Gärten oder den zahl-reichen öffentlichen Parks der Stadt. Er war wirklich groß. Ein Feigenbaum wuchs dort, eine Weide und zwei Dattelpalmen, und es gab die verschiedensten Blumenarten; Weinstöcke rankten über die Lauben hinweg, in denen wir unsere Abend-mahlzeiten einnahmen, und nimmermüde Springbrunnen lie-
    ßen ihre funkelnden Tropfen in die Becken plätschern, in denen Fische wie lebende Juwelen umherschossen. Das Mauerwerk, das aus der Zeit der akkadischen Kultur vor uns, den Chaldäern, stammte, war wunderschön glasiert und mit vielfältigen Figuren und mit blauen, roten und gelben Blüten verziert. Auch war der Innenhof mit Gras bewachsen, und dann gab es noch den etwas abgelegenen Teil, in dem unsere Vorfahren begraben lagen.
    Hier in diesem Hof, unter den Dattelpalmen, inmitten der Blumen, spielte ich, hier wuchs ich auf, und ich liebte das alles bis zu dem Tag ... dem Tag meines Todes. Ich liebte es, am spä-
    ten Nachmittag dort draußen zu liegen und den Brunnen zu lauschen, dann war ich taub gegen alle Worte, die mich an meine Arbeit im Skriptorium erinnern wollten, wo ich eigentlich Psalmen kopieren oder sonst etwas tun sollte. Ich war nicht von Natur aus faul, es war eher so, dass ich tat, wozu ich gerade Lust hatte. Und ich kam damit durch. Aber ich war mit-nichten ungezogen. Tatsächlich war ich sogar der beste Gelehrte der Familie - so sah ich es jedenfalls; denn obwohl meine Onkel es nicht zugeben wollten, kamen sie durchaus öfter mit drei Versionen eines Psalms des Königs David zu mir und fragten, welche Interpretation wohl die Naheliegendste wäre, und sie hielten sich an mein Urteil.
    Wir hatten keinen offiziell festgelegten Gebetsplatz, klar, wir hatten ja diese grandiosen Pläne, wie wir in unsere alte Heimat zurückkehren und den Tempel Salomons wieder aufbauen könnten; das hieß also, keiner kam auf die Idee, hier in Babylon irgendwo seitwärts am Straßenrand einen unbedeutenden Tempel hinzusetzen. Denn unser Tempel musste seiner Bedeutung und seiner Heiligkeit entsprechende Ausmaße haben. Und als ich dann tot war, als man mich verflucht hatte und ich schon der ›Hüter der Gebeine‹ war, da gingen die Juden tatsächlich heim und bauten diesen Tempel. Sie bauten ihn wahrhaftig, das habe ich selbst gesehen ... wie durch einen Nebel zwar, doch immerhin, ich habe es gesehen.
    Damals in Babylon fanden wir uns in unseren Häusern einerseits zum Gebet zusammen, und andererseits auch, damit die Ältesten die Briefe verlasen, die wir von den Rebellen erhielten, die sich immer noch auf dem Berg Zion verbargen, sowie auch Briefe von unseren Propheten in Ägypten. Jeremias wurde dort für längere Zeit gefangen gehalten. Dass Briefe von ihm dabei waren, daran kann ich mich zwar nicht erinnern, jedoch erinnere ich mich an eine Menge wirrer Schriften von Hesekiel. Die hatte er allerdings nicht selbst niederge-schrieben, denn er wanderte nur umher und redete und machte Prophezeiungen, und andere schrieben das später nieder.
    Wir beteten also in unseren Häusern zu unserem unsichtbaren und allmächtigen Jahwe - immer eingedenk der Tatsache, dass Jahwe, ehe David ihm einen Tempel versprach, in einem Zelt untergebracht gewesen war, und mit ihm die Bundeslade, und in dieser Tatsache lag eine Bedeutung und ein Wert an sich. Weißt du, viele der Alten waren der Ansicht, dass dieses Bestehen auf einem Tempel eigentlich schon eine babylonische Vorstellung war. Sie meinten sozusagen: Zurück zum Zelt, zurück zu den Wurzeln.
    Andererseits gehörte meine Familie seit neun Generationen zu den reichen Kaufleuten, alle waren also Stadtmenschen, die, glaube ich, erst in Ninive, später in Jerusalem gelebt hatten, und wir hatten kaum noch eine Vorstellung vom Nomadenle-ben oder davon, Heiligtümer in Zelten mit uns herumzuschlep-pen. Die Geschichte von Moses fanden wir auch reichlich unverständlich: Wie konnte zum Beispiel das Volk vierzig lange Jahre in dieser Wüste umhergeirrt sein? Aber ich wiederhole mich, oder? ... Was ich meine, ist ... Ein Zelt, das war für mich der seidene Himmel über meinem Bett, der das Licht rot tönte, wenn ich dort ruhte, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und zu Marduk sprach, von den Gebetszusammen-künften

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