Engel der Verdammten
Ich glaube, das bewirkten die Dämpfe.
Die ganze Nacht über hatte das hell glänzende Goldgemisch in dem Kessel gebrodelt. Der riesigen Menge an Gold und Blei und dem, was noch an weiteren Zutaten darin enthalten war, entströmte ein durchdringender und wohlriechender Duft. Mir drehte sich alles.
Sie stellten mich auf die Füße.
Ich schüttelte mich kräftig, damit ich richtig wach wurde und mir das Licht der Lampen nicht mehr so in den Augen stach.
Aber das war Sonnenlicht, nicht wahr? Asenath war da, und dann begannen die Priester, das Gold aufzutragen, von den Füßen aufwärts. Sie wiesen mich an, gerade zu stehen und still zu halten, dann strichen sie das Gold gewissenhaft, ohne einen Fleck auszulassen, auf meine Beine, mit Bewegungen, die fast einschläfernd wirkten. Das Gold war warm, aber es verursachte keinen Schmerz, kein Stechen. Sie trugen es langsam auf meinem Gesicht auf. Bis in die Nasenlöcher strichen sie es, und sie bedeckten meine Wimpern damit, erst links, dann rechts, und schließlich nahmen sie sich die lockigen Strähnen meiner Haare und meines Bartes vor und vergoldeten sie.
Inzwischen war ich hellwach.
›Halt die Augen weit offen!‹, befahl Asenath.
Dann brachten sie die für Marduk gedachten kostbaren Ge-wänder herein. Das waren die echten Gewänder, die man sonst jeden Tag der Statue anzulegen pflegte, doch nun sah ich, was sie vorhatten, nämlich nicht nur Gold darüber zu stäuben. Nein, sie wollten sie mit einer so dicken goldenen Schicht versehen, dass es mich wirklich wie ein lebendes Standbild aussehen ließ.
Sie kleideten mich an und begannen mit der Prozedur, strichen auf jede steife Falte des langen Gewandes Gold, ebenso auf die langen weiten Ärmel, und baten mich wieder und wieder, die Arme zu heben oder ein paar Schritte zu machen, während sie ihre Arbeit vollbrachten.
Ich stand vor einem Spiegel. Ich sah mich selbst darin, und ich sah aus wie der Gott. Ich sah den Gott darin.
›Du bist der Gott!‹, sagte ein junger Priester zu mir. ›Du bist unser Gott, und wir werden dir in Ewigkeit dienen. Schenke mir ein Lächeln, du mein Gott Marduk.‹
›Lächle ruhig‹, sagte Asenath. ›Weißt du, der Überzug darf nicht zu sehr aushärten. Er darf nicht rissig werden. Und wenn er an einer Stelle zu fest werden sollte, dann werden die Priester dort ein wenig frisches Gold auftragen, damit du den Muskel wieder bewegen kannst. Lächle, öffne und schließe die Augen, so ist es gut, mein schöner Jüngling. So ist es richtig.
Hörst du den Lärm?‹
›Es klingt, als sei die ganze Stadt in Aufruhr‹, antwortete ich.
Ich hörte auch Trompetenklänge, aber das erwähnte ich nicht.
›Mir ist schwindlig!‹, sagte ich.
›Wir werden dich stützen‹, versprach der junge Priester. ›Kyros selbst wird dich stützen, und Männer aus seinem Gefolge ebenfalls. Vergiss nicht, seine Hand zu nehmen und sie fest-zuhalten. Wende dich auch öfter zu ihm und küsse ihn. Das muss sein. Das bisschen Gold von deinen Lippen wird ihm nicht schaden.‹
In kürzester Zeit standen wir hoch auf dem Gefährt, und rings um mich verstreut sah ich Lage um Lage der schönsten Blü-
ten - alle Arten von Blumen, die in und um Babylon herum wuchsen, und selbst Blumen, die aus fernen Ländern herbei-geschafft worden waren, aus Ägypten und von den südlichen Inseln.
Wir standen in einem Streitwagen, dessen Räder man auf einem flachen Gefährt befestigt hatte; das Gefolge stand hinter uns, etwas tiefer als wir, und stützte mich in der Taille, und ein Mann stand neben mir und hatte ebenfalls seine Hand stützend um meine Mitte gelegt. Dann bestieg Kyros den Wagen.
Schreien und Kreischen brandete ringsum auf. Die Tore waren schon seit einiger Zeit geöffnet gewesen, und nun strömte das Volk herein. Die Prozession hatte begonnen. Ich blinzelte, versuchte etwas zu sehen, nahm in der Luft umherflatternde Blütenblätter wahr, rosa und rot und weiß, und ich roch den aufsteigenden Weihrauch. Als ich den Blick nach unten senkte
- mein Nacken fühlte sich steif an -, sah ich, dass sich die gesamte Priesterschaft und alle Tempelhuren niedergeworfen hatten auf dem weiten gefliesten Boden des Palasthofes. Nun setzten sich die dem Wagen vorgespannten weißen Maultiere langsam in Bewegung.
Betäubt wandte ich den Kopf und schaute den König an! Wie großartig und schön sah er doch aus.
Im gleichen Augenblick, in dem wir durch das Tor fuhren, schwoll das Geschrei zur höchsten Lautstärke an. Die
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