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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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steht, wird die gesamte Bevölkerung auf den Beinen sein. Am Fluss wartet der Kahn, der uns zu dem Gartenpavillon bringen wird, in dem du den Drachen Tiamat erschlagen musst; das wird, nebenbei gesagt, ein Leichtes für dich sein. Am darauf folgenden Tag werden wir mit dir hierher zurückkehren. Wir werden dich stützen und alles tun, um deine Schmerzen zu lindern.
    Am dritten Tag, hier am Hofe, muss noch genügend Leben in dir sein, dass du dich erheben und die Krone auf Kyros' Haupt setzen kannst. Das ist alles. Danach kannst du einfach still stehen bleiben, aufrecht gehalten von dem tödlichen Gold, das dich wärmt, aber auch betäubt, und dann magst du sterben.
    Für das, was dann noch folgt - Hymnen und Verse werden vorgetragen, Orakel befragt - ist nur noch eines notwendig, dass du deine Augen geradeaus richtest und sie weit geöffnet hältst.‹
    ›Und wenn ich die drei Tage nicht durchhalte?‹
    ›Das schaffst du. Die anderen vor dir haben es auch immer geschafft. Erst nach der Zeremonie können wir dir vielleicht dein Sterben erleichtern, indem wir etwas nachhelfen, vielleicht noch etwas Gold in deinen Mund gießen. Doch es wird schmerzlos sein.‹
    ›Aber sicher‹, sagte ich. ›Wisst ihr eigentlich, wie sehr ich euch verachte?‹
    ›Das ist mir gleichgültig‹, antwortete der Hohepriester. ›Du bist nur ein Hebräer. Wir haben uns nicht gerade gegenseitig geliebt. Und du hast unseren Gott nie geliebt.‹
    ›Aber er liebt ihn doch!‹, mischte Asenath sich ein, ›das ist ja das Traurige! Aber fürchte nichts, Asrael, dein Opfer für dein Volk Israel ist so groß, dass der Herr der Heerscharen dir vergeben wird, und dein Lebensfunke wird im Tode mit dem erhabenen Feuer vereint sein, das Er ist.‹
    ›Das schwöre ich‹, sagte Enoch.
    Ich lachte geringschätzig, hob den Kopf, eigentlich nur, um mich voller Verachtung abzuwenden, und da sah ich, dass der Raum gedrängt voll war von Geistern. Wie Rauch trieben sie einher, diese Geister. Ich wusste nicht, was sie waren oder was sie einst gewesen waren; ihre Bekleidung war zu solcher Einfachheit reduziert, dass nichts geblieben war als hier und da eine Art Tunika oder ein schlichtes Gewand, einige von ihnen hatten nicht einmal eine richtige Gestalt, sondern nur ein Antlitz blickte mich an.
    ›Was hast du, mein Sohn?‹, fragte Kyros freundlich.
    ›Nichts. Ich sehe nur die verlorenen Seelen und hoffe nun, dass wenigstens ich Ruhe finden werde in meinem Gott, in seiner wärmenden Flamme. Aber ... es ist dumm, auch nur daran zu denken.‹
    ›Lasst uns nun allein, ihr alle, lasst den Jungen hier bei uns‹, sagte Remath. ›Wir müssen ihn kleiden und schmücken, damit der herrlichste Marduk aller Zeiten den Prozessionsweg ent-langgeführt werde; und du, Alte, du wirst dein Versprechen halten und uns erklären, wie die Goldmischung hergestellt wird, und wie man sie auf seinen Körper aufträgt, damit sie auf seiner Haut, auf seinen Augen und auf den Kleidern haftet.‹
    ›Geh nur, Vater‹ sagte ich. ›Doch morgen möchte ich dich sehen. Ich versichere dir, dass ich dich liebe, dass ich dir vergebe. Sorge dafür, dass unser Haus mächtig wird und dass unser Volk mächtig wird.‹ Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn fest auf den Mund und auf beide Wangen, und dann schaute ich König Kyros an.
    Immerhin hatte er mich noch nicht entlassen. Doch mein Vater ging, und die Priester führten den alten Nabonidus fort, der nun tatsächlich in Schlaf gesunken war, und auch der unwürdige, vor sich hin murmelnde Belsazar, der betrunken und nicht klar im Kopf war und den Eindruck erweckte, als sei seine Ermordung nicht mehr fern. Es kümmerte mich nicht, was auch nur einem von ihnen widerfahren würde. Ich lauschte den Schritten meines Vaters, bis sie in der Ferne verklangen.
    Enoch ging zusammen mit den Ältesten, gedrechselte Reden auf den Lippen, von denen ich nicht ein Wort in Erinnerung behalten habe, nur dass das Ganze sich wie eine schlechte Imitation Samuels anhörte, weiß ich noch.
    Kyros sah mich staunend an. In seinen Augen stand Respekt, aber auch Verzeihung für mein rüdes Benehmen, für meinen Mangel an Unterwürfigkeit, meinen Mangel an Höflichkeit.
    ›Es gibt schlimmere Arten zu sterben‹, behauptete der Hohepriester. ›Du wirst umgeben sein von Gläubigen; Rosenblüten werden vor dir niederfallen, während dein Blick sich trübt, und ein König wird dir zu Füßen knien.‹
    ›Wir müssen ihn jetzt mit uns nehmen‹, sagte Remath.
    Kyros

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