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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Hebräer standen auf den Dächern ihrer Häuser. Ich versuchte etwas zu erkennen, doch war alles wie verschleiert. Aber ich hörte, dass sie den Psalm von Zion sangen. Ihre Gesichter waren klein und weit weg.
    Der Wagen nahm Fahrt auf, soweit das bei einem solch un-förmigen Gefährt überhaupt möglich war, doch er rollte stetig voran, und ich hielt mich mit einer Hand am Rand des Streitwagens fest, bog die goldenen Finger um die Kante, und dann, wie von einem Instinkt getrieben, denn niemand hatte mir etwas gesagt, legte ich meine Hand in Kyros' Hand und gab ihm den ersten Kuss.
    Das Volk verfiel in Ekstase. Selbst die Häuser entlang der Prozessionsstraße schienen zu leben; kreischendes Leben tönte aus den Fenstern und von den Dächern, und Leben drängte aus den Türen, und selbst in den Seitenstraßen standen die Menschen und sangen und wedelten mit Palmblättern, und immer wieder hörte ich die Klänge hebräischer Musik, die uns nachgerade verfolgten.
    Ich kann mich nicht erinnern, wann wir den großen Kanal überquerten, obwohl ich glaube, den Schimmer des Wassers gesehen zu haben. Die Bedienten stützten mich mit festem Griff und sagten scharf, ich müsse durchhalten.
    ›Du bist mein Gott, Marduk‹, beruhigte mich Kyros. ›Ertrage sie, sie sind Dummköpfe. Halte meine Hand, du, mein Gott; denn nun sind wir König und Gott. Das kann niemand bestreiten.‹
    Ich lächelte und beugte mich abermals vor, um seine Wange zu küssen, und abermals brandete freudiges Geschrei aus dem Volk auf. Wir näherten uns dem Fluss. Bald würden sie uns auf ein Boot geleiten; Ziel war das Haus des Zweikampfs mit Tiamat, dort musste der Gott die große Schlacht gegen die Mächte des Chaos, gegen die Urkraft schlagen. Was würde da geschehen?
    Ich fühlte mich wie jemand, der so betrunken ist, dass ihm alles egal ist. Ich spürte, wie das Gold auf meinem Körper immer fester wurde. Und wie sie mir vorausgesagt hatten, spürte ich ein Wohlgefühl, als liebkose es mich. Ich hatte meine Füße nun recht fest in den Boden gestemmt, die Bedienten hielten mich in stützendem Griff, und Kyros' Hand lag fest und warm in der meinen; er winkte und neigte sich und rief den begei-sterten Bürgern Babylons unzählige Grußworte zu.
    Während sich das Boot den Fluss hinaufbewegte und ich die Volksmenge auf beiden Seiten des Flusses sah, dachte ich erheitert: ›Er glaubt, dies alles geschehe nur seinetwegen.
    Dabei ist das doch eigentlich typisch für Babylon. Babylon be-geht ein riesiges Fest, veranstaltet eine Feier, wie so häufig, aber Kyros hat die Stadt eben nie tanzend und trinkend und außer Rand und Band erlebt, deshalb ist er so beeindruckt. Na gut, soll er's genießen.‹ Nur vage vermerkte ich, dass ich meine Familie nirgends gesehen hatte. Sie waren da, dessen war ich mir sicher, aber ich hatte sie nicht gesehen.
    Das Haus des Zweikampfs war großzügig mit Silber, Smaragden und Rubinen ausgestattet. Seine Säulen waren golden und deren Spitzen hatten die Form riesiger Lotosblüten. Das Dach hatte in der Mitte eine weite Öffnung, und ringsum saßen dicht gedrängt hundert und aberhundert babylonische Edelleute, Reiche, hohe Beamte aus Nachbarstädten, Priester, die mitsamt ihren Göttern hier Zuflucht gefunden hatten, sowie ebenso viele Gefolgsleute von Kyros' Königshof, Männer, die uns so ähnlich und doch wieder so anders waren. Größer, hagerer, durchtrainierter und scharfäugiger.
    Plötzlich hatten sich alle meine Begleiter zurückgezogen, und ich stand allein inmitten des offenen Hofes. Nur Remath war neben mir, und auf meiner anderen Seite der junge, mitfühlende Priester.
    ›Hebe die Arme‹, sagte der Priester. ›Ziehe dein Schwert aus der Scheide.‹
    ›Was für ein Schwert? Ich wusste nicht, dass ich ein Schwert habe.‹
    ›Doch, du hast eins‹, versicherte mir der junge Priester eifrig.
    ›Ja, so ist es richtig, recke es hoch in die Luft.‹
    Ich merkte kaum, dass ich gehorchte. Das Schwert ver-schwamm vor meinen Augen. Die Edelleute stimmten Gesän-ge an, und Harfen erklangen, und dann hörte ich vertraute Laute, die ich von vielen früheren Veranstaltungen kannte, und auch von den Jagdausflügen mit meinem Vater und meinen Brüdern. Ich vernahm das Gebrüll von Löwen, eingesperrten Löwen.
    ›Habe keine Angst‹, sagte Remath. ›Die Tiere sind satt, und sie haben einen Trank bekommen, der sie tollpatschig und schläfrig macht; man wird sie auch nur eines nach dem anderen aus ihren Käfigen befreien.

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