Engel der Verdammten
sichtlich unter dem Frost lei-denden Beamten, vermutlich aus Washington D. C., erschien plötzlich auf dem Bildschirm und gab eine beruhigende Erklä-
rung ab:
»Der ›Tempel vom Geiste Gottes‹ und seine grandiosen Pläne sollten keinen Anlass mehr zur Furcht geben. Jede einzelne ihrer Anlagen wurde entweder von den fanatischen Anhängern selbst in Brand gesetzt, als die Polizei einen Sturmangriff un-ternahm, oder der Polizei gelang es, den Unterschlupf zu räumen und alle Sektenmitglieder hinter Schloss und Riegel zu bringen. Was den mysteriösen Mann betrifft, gibt es keinen Augenzeugen, der ihn nach Rachel Belkins Tod noch einmal gesehen hat; es ist durchaus möglich, dass er, wie Hunderte andere, während der Feuersbrunst umgekommen ist, die in Belkins New Yorker Tempelanlage volle vierundzwanzig Stunden wütete, ehe die Feuerwehr sie unter Kontrolle bringen konnte.«
Ein weiterer Mann, der noch mehr nach einem Beamten aussah und noch dazu ärgerlich wirkte, nahm das Mikrofon. »Der
›Tempel vom Geiste Gottes‹ ist neutralisiert, machtlos, man hat seine Machenschaften gestoppt; während wir diese Sendung ausstrahlen, laufen Untersuchungen im Zusammenhang mit ihren Bankverbindungen, und in der Finanzwelt von Paris, London und New York wurden Verhaftungen vorgenommen.«
Dann folgte statisches Rauschen, weiße Flecken blitzten über den Bildschirm. Ich schüttelte das Gerät. Die Stimme ertönte wieder, doch jetzt ging es um eine von Terroristen gelegte Bombe in Südamerika, um Drogenbosse und Handelssanktio-nen gegen Japan. Ich stellte den Apparat wieder hin und schaltete ihn aus. Ich hätte nach einem anderen Sender suchen können, aber was ich gehört hatte, reichte mir.
Ich musste plötzlich bellend husten, der Schmerz, der dabei entstand, kam ganz unerwartet.
Ich kramte in meiner Erinnerung: Rachel Belkin ermordet? Das war nur ein paar Tage nach Esthers Tod gewesen. Rachel Belkin, in Miami. Ermordet.
Zwillinge. Ich dachte an das Bild, das Asrael mir gezeigt hatte - der Chassid mit dem Bart und den Schläfenlocken und dem seidenen Hut.
Aus irgendeinem Winkel meines Gedächtnisses tauchte die Erinnerung auf, dass Rachel Belkin, Ehefrau Gregorys und zur besseren Gesellschaft gehörend, eine erklärte Gegnerin der Sekte gewesen war, und ich hatte nur einmal überhaupt ihren Namen, ihren Ruf und ihre Existenz registriert, und das war, als ich einen Ausschnitt von Esthers Beerdigung gesehen hatte. Die Kamera hatte die Mutter nicht losgelassen, und man hatte sie lautstark bedrängt, ihre Meinung zu der Sache zu äußern, bis sie in einem schwarzen Wagen verschwunden war. War ihre Tochter von Belkins Gegnern getötet worden?
Oder waren es Terroristen aus dem Nahen Osten gewesen?
Ein Schwindelanfall rollte über mich hinweg, drohte sich noch zu steigern. Ich stellte den Fernseher zur Seite und legte mich wieder ins Bett. Ich fühlte mich müde und durstig. Ich zog die Decke bis ans Kinn, richtete mich aber noch einmal auf, um zu trinken. Ich schüttete das Wasser nur so in mich hinein, dann ließ ich mich zurücksinken und dachte nach.
Weder der Fernsehapparat noch die von ihm ausgespienen rätselhaften Berichte schienen mir wirklich.
Wirklich schien mir dieser Raum, das Feuer, das im Kamin tanzte, und dass Asrael hier gewesen war. Und wirklich schien mir auch das Bild dieses mit brodelnder Flüssigkeit gefüllten Kessels, das vor meinem geistigen Auge stand, und die unerträgliche, unglaubliche Vorstellung, in etwas Derartiges hi-neingeworfen zu werden. In kochende Flüssigkeit. Ich schloss die Augen.
Da hörte ich ihn wieder singen:
»An den Strömen Babylons saßen wir und weinten, als wir Zions gedachten ...«
Und plötzlich merkte ich, dass ich es selbst sang.
»Komm doch zurück, Asrael, komm zurück! Erzähle mir, was weiter geschah!«, murmelte ich, und dann schlief ich ein.
Ich erwachte vom Geräusch der sich öffnenden Tür. Draußen war es nun völlig dunkel, und hier im Zimmer war es herrlich warm. Die Kälte war aus meinen Knochen gewichen.
An der Feuerstelle stand eine Gestalt und starrte in die Flammen. Ehe ich es verhindern konnte, entfuhr mir ein leiser Schrei. Nicht unbedingt männlich oder tapfer.
Doch eine Art Dampf oder Nebel stieg von der Gestalt auf, die Gregory Belkin zu sein schien, zumindest Kopf und Haare sahen so aus, dann aber veränderte sich das Ganze und verwandelte sich zurück in Asraels dichte schwarze Locken und seine grimmigen Augenbrauen. Er schien etwas
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