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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sollte mich an diese Zeit, an dies alles, was ich dir gerade erzählt habe, zweitausend Jahre lang nicht mehr erinnern.«

    Asrael lehnte sich zurück. Der Morgen graute. Er schloss die Augen und sagte:
    »Du musst jetzt ruhen, Jonathan, sonst wirst du aufs Neue krank, und auch ich brauche Schlaf, und ich habe Angst vor dem, was geschehen wird. Doch ich bin müde, müde!«
    »Wo sind die Gebeine, Asrael?«, fragte ich.

    »Ich erzähl's dir, wenn wir wieder wach sind. Und auch alles, was im Zusammenhang mit Esther, mit Gregory und mit dem
    ›Tempel vom Geiste Gottes‹ geschehen ist. Ich erzähl's dir ...«
    Er schien zu erschöpft zu sein, um fortzufahren.
    Er stand auf und half mir mit fester Hand aus dem Sessel. »Du musst noch etwas Brühe zu dir nehmen, Jonathan.«
    Er schöpfte sie aus der Schale am Herd und brachte sie mir, und ich trank. Dann half er mir ins Badezimmer und wandte sich dezent ab, während ich Wasser ließ, schließlich half er mir ins Bett. Ich zitterte heftig. Meine Kehle war geschwollen und meine Zunge pelzig.
    Asrael war bedrückt, das konnte ich sehen. Seine Geschichte zu erzählen war für ihn ein Martyrium gewesen.
    Er spürte wohl mein Mitgefühl. »Nie wieder werde ich das jemandem erzählen, keinem Menschen!«, sagte er. »Ich will nie wieder davon sprechen müssen, ich will nie wieder diesen brodelnden Kessel vor mir sehen ...«, seine Stimme verlor sich.
    Er schüttelte den Kopf mit dem dichten Haar, als wolle er sich wieder munter machen, und dann verfrachtete er mich ins Bett und sorgte dafür, dass ich nochmals von dem kalten Wasser trank, was mir sehr gut tat.
    »Hab keine Angst um mich«, beruhigte ich ihn. »Mir geht's gut.
    Ich bin nur ein bisschen müde, ein bisschen schwach.« Ich nahm noch einen großen Schluck von dem Wasser und bot die Flasche dann Asrael an. Er konnte gar nicht mehr aufhö-
    ren zu trinken. Dann lächelte er.
    »Kann ich nicht irgendetwas für dich tun?«, fragte ich. »Du bist mein Gast und mein Beschützer.«
    »Würdest du mir erlauben, neben dir zu schlafen?«, fragte er.
    »Weißt du, wie Kinder, die draußen im Freien nächtigen, damit
    ... damit ... wenn der Wirbelwind nach mir greift, wenn die Seelen kommen ... damit ich dich dann fühlen und deine warmen Hände fassen kann.«
    Ich nickte. Er deckte mich zu und legte sich neben mich. Ich drehte mich zu ihm herum, und er legte sich mit dem Rücken zu mir; der Samt seines Gewandes strömte Wärme und Be-haglichkeit aus. Ich hatte den Arm um ihn gelegt, und Asrael sank sofort schlaff in das Bettzeug, den Kopf tief ins Kissen vergraben. Die Masse schwarzer Locken dicht vor meiner Na-se roch nach der frischen kalten Winterluft und dem süßlichen Rauch des Feuers.
    Die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich unter der Tür durch und kündeten, zusammen mit der zunehmenden Wärme des Raumes, davon, dass der Schneesturm nachgelassen hatte.
    Das Feuer brannte munter vor sich hin. Der Morgen war still.

    Einmal, um die Mittagszeit, erwachte ich. Mir war heiß, und ich murmelte etwas vor mich hin, noch in einen grässlichen Traum verstrickt. Asrael hob meinen Kopf an und gab mir einen gro-
    ßen Becher Wasser zu trinken. Er hatte Schnee darunterge-mischt, es schmeckte kühl und frisch, und ich trank in großen Schlucken. Dann legte ich mich wieder nieder.
    Von seiner rot gewandeten Gestalt mit den schwarzen, tief liegenden Augen schien ein leichter Glanz auszugehen. Sein Haar und Bart wirkten seidig weich, und mir fielen all die alten Textstellen ein, in denen von Salben und Ölen und Duftwas-sern für das Haar die Rede war; sein Haar wäre all dessen wert, dachte ich. An meinem geistigen Auge zogen die vielen Wandbilder und Reliefs vorbei, die ich auf meinen Reisen in alle Welt gesehen hatte.
    Ich dachte an die assyrischen Reliefs im Britischen Museum und an all die Abbildungen in den Büchern. »Das schwarzhäuptige Volk«, so hatten die Sumerer sich selbst bezeichnet.
    Und wir, die Juden, stammten wohl von ihnen ab oder hatten uns irgendwie mit ihnen vermischt, und mir wurde klar, dass jene fremdartigen Reliefs bärtiger Könige in langen Gewändern mir näher standen als die europäischen Symbole und Gestalten, die ich als mir verwandt im Herzen hegte; dabei hatten sie doch in Wirklichkeit so wenig Bedeutung.
    »Hast du gut geschlafen?«, fragte ich ihn traumverloren, während ich schon wieder in tiefen Schlummer sank. »Ja«, gab er zurück. »Schlaf du noch ein Weilchen. Ich will hinaus in den Schnee,

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