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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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einen Spaziergang machen. Hörst du, du schläfst noch! Wenn du aufwachst, werde ich das Essen fertig haben.«

    8

    Erst am späten Nachmittag erwachte ich. Das unter der Tür hindurchfallende Licht verriet mir, dass die Sonne ihre letzten Strahlen über einen leuchtend blauen Himmel schickte.
    Asrael war nicht im Haus, das ja kaum mehr als ein Zimmer aufzuweisen hatte. Ich stand auf, wickelte mich in meinen wärmsten Bademantel aus Kaschmirwolle und begann nach ihm zu suchen - in den winzigen Räumen hinten am Haus, dem Badezimmer und der Vorratskammer. Er war nicht da. Mir fiel ein, dass er etwas von Spazierengehen im Schnee gesagt hatte, aber ich fand seine Abwesenheit zermürbend.
    Dann fiel mein Blick auf die Feuerstelle, und ich sah den gro-
    ßen Topf mit der Brühe, der er offensichtlich Kartoffeln und Karotten hinzugefügt hatte; das zeigte mir, dass ich nicht alles nur geträumt hatte. Es war jemand hier gewesen. Außerdem war mir ein bisschen übel. Mein Kopf war noch nicht so klar, wie er nach der Überwindung der Krankheit hätte sein müssen.
    Ich betrachtete meine Füße. Sie steckten in Hüttenschuhen aus dicker Wolle mit ledernen Sohlen. Die musste er mir angezogen haben. Ich ging zur Tür. Ich musste ihn einfach finden, herauskriegen, wo er geblieben war. Plötzlicher Schrecken überfiel mich, dass er fortgegangen sein könnte.
    Mehr als nur ein Schrecken. Und zwar aus diversen Gründen, die ich nicht alle genau benennen konnte.
    Ich zog mir Schneestiefel über und meinen Wintermantel, ein zentnerschweres Stück und ausgesprochen weit geschnitten, damit er auch noch über den dicksten Pullover passte, und dann öffnete ich die Tür.
    Die untergehende Sonne tauchte den Schnee der fernen Berggipfel in rote Glut, doch der Himmel war schon dunkel.
    Die Welt hüllte sich in Grau und Weiß, metallisch schimmernde Dämmerung setzte ein.
    Ich sah Asrael nirgends. Die Luft war ruhig und die Temperatur ganz erträglich, was selbst im tiefsten Winter manchmal vorkommt, wenn eine Zeit lang kein Wind weht. Vom Dach über mir hingen Eiszapfen. Der Schnee zeigte keine Spuren, er sah ganz frisch aus und lag nicht allzu hoch.
    »Asrael!« Ich rief laut nach ihm. Warum war ich so verzweifelt? Hatte ich Angst um ihn? Ja, so war es. Ich hatte Angst um ihn, um mich, um meine Gesundheit, um meinen Verstand, um die Sicherheit und den Frieden meines gesamten Lebens ...
    Ich schloss die Tür hinter mir und entfernte mich ein Stück vom Haus. Schon begann die Kälte in mein Gesicht und meine Hände zu beißen. Was ich hier machte, war schlicht blödsin-nig, und ich wusste es. Ich würde wieder Fieber kriegen. Ich konnte nicht hier draußen bleiben.
    Immer wieder rief ich nach ihm, doch es kam keine Antwort, und rings um mich erstreckte sich diese wunderschöne Schneelandschaft in der Dämmerung. Die Kiefern trugen ihre Schneelast voller Würde, und die ersten Sterne kamen hervor.
    Die Sonne war nicht mehr zu sehen. Nur Zwielicht herrschte noch.
    In einiger Entfernung bemerkte ich den Wagen; ich hatte ihn die ganze Zeit im Blickfeld gehabt, doch ich hatte ihn nicht registriert, weil er fast vollständig unter dem Schnee begraben war. Mir kam ein Gedanke. Ich hastete hinüber, wobei ich spürte, dass meine Füße schon ganz taub waren, und öffnete die Hecktür. Innen stand ein alter tragbarer Fernseher, so ein kleiner, wie die Fischer sie mit auf See nehmen, mit einem winzigen Bildschirm, mit eingebautem Griff und so lang gezogen, dass er einem großen Scheinwerfer glich. Er war batteriebetrieben. Ich hatte ihn seit Jahren nicht benutzt. Jetzt nahm ich ihn heraus, schloss den Jeep wieder ab und rannte zurück zum Haus.
    Als ich die Tür hinter mir schloss, fühlte ich mich Asrael gegenüber wie ein Verräter. Ich fühlte mich, als wolle ich ihm nachspionieren - der Welt nachspionieren, von der er erzählt hatte, der Welt der Belkins, einer absolut widerwärtigen Welt von Terrorismus und abstoßender Gewalt, ausgesät vom
    »Tempel vom Geiste Gottes«.
    Eigentlich sollte das nicht nötig sein, dachte ich. Na, vielleicht klappte es ja sowieso nicht. Ich setzte mich ans Feuer, zog die Stiefel aus und wärmte mir Hände und Füße. Blöd, wirklich blöd bist du, dachte ich, aber wenigstens zitterte ich nicht. Ich holte ein paar von den Batterien aus meinem Vorrat und setzte sie in den kleinen Fernsehapparat ein, den ich dann an seinem Griff zu meinem Sessel trug, sodass ich es mir bequem machen konnte.
    Nachdem ich die Antenne

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